Ursula von der Leyen, Präsidentin der neuen EU-Kommission. Damit die Kommission am 1. November ihr Amt antreten kann, muss das Parlament sie noch als Ganzes billigen.

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Bis zuletzt, so wurde es kolportiert, soll "Chaos pur" geherrscht haben. Am Ende aber konnte die designierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihr Wunschteam nach der einen oder anderen Adaption in letzter Minute am Dienstag pünktlich präsentieren. Die erste Überraschung: Von der Leyen verpasste sich nicht wie angenommen zwei, sondern drei Exekutiv-Vizes. Vorab standen nur der Sozialdemokrat Frans Timmermans und die Liberale Margrethe Vestager fest.

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Sie hatten sich ursprünglich selbst um von der Leyens Job beworben. In ihrem Bemühen um eine Mehrheit bei der Wahl im EU-Parlament hatte die CDU-Politikerin der Kandidatin und dem Kandidaten der beiden anderen großen Fraktionen vorab eine herausgehobene Rolle als Vizepräsidenten "auf Augenhöhe" versprochen.

Zu dem Trio stieß nun der lettische Christdemokrat Valdis Dombrovskis als dritter geschäftsführender Vize sowie Kommissar für Finanzdienstleistungen, Wirtschaft und Soziales hinzu. Der Niederländer Timmermans soll fortan für das als prioritär behandelte Dossier Klimaschutz, die dänische, bisherige Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager zusätzlich noch für den Bereich Digitales zuständig sein.

Fünf Vizepräsidenten

Hinzu kommen fünf weitere Vizepräsidenten, die ressortübergreifend koordinierende Aufgaben wahrnehmen. Ein wichtiger Kommissarsposten ging an den Österreicher Johannes Hahn (Haushalt und Verwaltung). Hahn erhält nicht nur ein gewichtiges Ressort, er ist auch als einziger direkt der Kommissionspräsidentin unterstellt – eine Vertrauensposition, die von der Leyen mit der Erfahrung des neben dem Slowaken Maroš Šefčovič dienstältesten Kommissars begründete.

Der Zusammenstellung ihres Teams ging dem Vernehmen nach ein penibles Austarieren der Interessen der einzelnen Mitgliedsstaaten voraus, präziser: all jener Staaten, die von der Leyen bei ihrer Wahl im Juli die knappe Mehrheit verschafft hatten. Mit dem Bereich Migration ist die Schwedin Ylva Johansson zwar als Innenkommissarin, Margaritis Schinas aber als Vizepräsident beauftragt. Die späte Ernennung Dombrovskis zum Exekutiv-Vizepräsidenten hingegen, der Lettland in seiner Zeit als Regierungschef einen harten Sparkurs verpasst hat, gilt als Zugeständnis an Euro-Hardliner wie Deutschland oder die skandinavischen Länder. Sie hatten zuvor ihre Sorge geäußert, dass mit dem Italiener Paolo Gentiloni nach dem Franzosen Pierre Moscovici erneut ein Südländer für Wirtschaft und Währungsunion verantwortlich zeichnen soll. Dass für die Belange der Justiz und Rechtsstaatlichkeit mit Didier Reynders zwar ein Belgier zuständig ist, ihm aber mit der Tschechin Věra Jourová eine Vizepräsidentin vorgesetzt wurde, die den Zustand der Grundwerte in allen EU-Staaten überwachen soll, wird als Entgegenkommen den Osteuropäern gegenüber gewertet.

Muss vom Parlament bestätigt werden

Das neue Führungspersonal muss noch vom EU-Parlament bestätigt werden. Dafür müssen sich die Nominierten in den kommenden Wochen in den zuständigen Ausschüssen inhaltlichen Anhörungen stellen. Traditionellerweise dürfte dort noch die Auswechslung einiger der zwölf Frauen (exklusive von der Leyen) und 14 Männer gefordert werden. Große Vorbehalten äußerten die Parlamentarierinnen und Parlamentarier schon gegen die Vorschläge aus Ungarn, Polen und Rumänien.

Der Ungar László Trócsányi (Erweiterungsressort) steht in der Kritik, weil er eine umstrittene und inzwischen wieder gestoppte Justizreform mitgetragen hat. Zudem steht sein Land für das Gegenteil von dem, was auf dem Balkan notwendig wäre: mehr Rechtsstaatlichkeit, ernsthafte Reformen und weniger autoritäre Führer. Die Rumänin Rovana Plumb sieht sich dem Vorwurf des Amtsmissbrauchs ausgesetzt. Gegen den polnischen Kandidaten Janusz Wojciechowski ermittelt die europäische Antibetrugsbehörde Olaf wegen womöglich falscher Reiseabrechnungen.

Vorwürfe der Scheinbeschäftigung gegen Kandidatin

Olaf überprüft zudem auch Vorwürfe gegen die französische Kandidatin Silvie Goulard, bei denen es um um Scheinbeschäftigung im EU-Parlament geht. Sie wurde in Paris von der Polizei angehört. Dass Goulard dennoch das Schlüsselressort europäischer Binnenmarkt, Verteidigungsindustrie und Raumfahrt zufällt, ist ein Geschenk an den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, auf den die Erfindung der Kandidatur von der Leyens zurückgeht.

Ähnliches gilt für den bisherigen spanischen Außenminister Josep Borrell, den Premier Pedro Sánchez als Nachfolger von Federica Mogherini als Außenbeauftragten durchgedrückt hat. In seinem Fall sind es sein Alter (72), seine harte Haltung in der Katalonien-Frage und diverse Finanz-Affären, die für Verstimmung sorgen. (Anna Giulia Fink, 10.9.2019)