In der Wiener U-Bahn rastete ein 27-Jähriger aus und verletzte eine Frau schwer.

Foto: Robert Newald

Wien –"Ich bin echt froh, dass ich zu Fuß in die Arbeit gehe", merkt Richterin Eva Brandstetter an, nachdem sie das am 25. Februar aufgenommene Überwachungsvideo aus einer U-Bahn-Garnitur in Augenschein genommen hat. Zu sehen ist, wie der 27-jährige Angeklagte Rene A. eine ältere Frau durch Schläge und einen Tritt schwer verletzt – während er einen Säugling im Tragetuch quer über der Brust trägt.

A. bekennt sich zwar schuldig, versucht mit leiser Stimme aber den Vorfall herunterzuspielen. "Ich war mit meiner Lebensgefährtin in der U-Bahn. Ich hatte unsere Tochter, meine Freundin den Kinderwagen. Ich wollte aussteigen, da hat sich die Dame vorbeigedrängt und die Kleine mit dem Ellbogen voll erwischt, was dann zu einer Rangelei führte", erklärt er.

Da Brandstetter das Video schon im Vorfeld gesehen hat, weiß sie, dass es doch etwas mehr als eine Rangelei war. "Haben Sie auf die Frau hingetreten?" – "Ja." – "Haben Sie sie mit der Faust ins Gesicht geschlagen?" – "Ja. Aber ich wollte das gar nicht."

Angeblicher Ellbogencheck nicht zu sehen

Nach den im Wiener Landesgericht praktisch obligatorischen technischen Problemen kann der Film schließlich an die Wand projiziert werden. Ein Ellbogencheck der Frau ist nicht zu erkennen, möglicherweise eine leichte Berührung. A.s Reaktion: Er rastet völlig aus und verpasst dem Opfer eine rechte Gerade ins Gesicht.

Ein anderer Fahrgast versucht ihn abzudrängen und die Situation auf der Fahrt in die nächste Station zu beruhigen, A. gelingt es dennoch, einen Tritt und einen weiteren Schlag anzubringen. Ein Mann mit einer Jacke der Wiener Linien mischt sich nicht ein, sondern entfernt sich ein paar Schritte und spricht in sein Funkgerät.

"Warum diese Eskalation?", will Verteidiger Wolfgang Haas von seinem Mandanten wissen. "Meine Tochter ist vier Monate zu früh auf die Welt gekommen. Dann hatten wir sie gerade zwei Wochen daheim, sie bekam einen Virusinfekt und musste wieder ins Spital, um Beatmungsunterstützung zu bekommen", schildert der dreifache Vater. "An dem Tag sind wir mit ihr wieder nach Haus gefahren. Es war einfach eine Kurzschlussreaktion. Ich hätte die Frau nicht schlagen sollen ...", A. stockt kurz, "... dürfen! Ich hätte sie nicht schlagen dürfen. Man haut nicht auf eine Frau hin als Mann", gibt er sich reuig.

Bruch des Mittelfußknochens und Schädelprellung

Das Opfer erlitt einen Bruch des Mittelfußknochens und eine Schädelprellung, auch ihre Brille wurde bei der Attacke ruiniert. An Schmerzensgeld und Schadenersatz will sie 6.180 Euro vom Angeklagten. Der stimmt dem zu, kündigt aber an, es nur in Raten bezahlen zu können, da er derzeit als Teilzeitangestellter nur 467 Euro bekomme plus 11,6 Euro täglich vom AMS.

Wie sich zeigt, ist die Verhandlung nicht der erste Kontakt des Angeklagten mit der Justiz. Am 15. Juli musste er sich im Rahmen einer Diversion am Bezirksgericht Floridsdorf zu 50 Stunden gemeinnütziger Leistung und einer Zahlung von 1.200 Euro an ein früheres Opfer verpflichten. Er hatte ein Auto veruntreut und bei einem Streit einen auf dem Boden liegenden Kontrahenten getreten.

"Das war eine Gewalteskalation, die in der U-Bahn nichts zu suchen hat", begründet Brandstetter ihr rechtskräftiges Urteil von zehn Monaten bedingt. "Dass Sie kein Waserl sind, sieht man an dem früheren Vorfall", erklärt sie, warum auch eine Weisung zu einem Antiaggressionstraining dazukommt. (Michael Möseneder, 12.9.2019)