Hat irgendjemand noch die Nerven, sich eine weitere Fernsehsendung zum Wahlkampf anzuschauen? Diese Wahlauseinandersetzung war und ist vom Fernsehen geprägt wie noch keine vor ihr. Die Bilanz: Es war ein Overkill. Und demokratiepolitisch problematisch.

Fast kein Abend, an dem die Spitzenkandidaten nicht auf irgendeinem Sender und in irgendeiner Zusammensetzung zu sehen sind, in Interviews, Gesprächen, Runden, Duellen oder in so manchem Schlagabtausch. Das soll das Publikumsinteresse erhöhen. Ob es auch unsere Urteilsfähigkeit erhöht, ist eine andere Frage.

Kann man sich vorstellen, dass sich Bruno Kreisky, wenn er heute lebte, wie ein Zirkusäffchen tagein, tagaus von einem Auftritt zum anderen jagen ließe? Würde er nicht eher sagen: Jetzt reichts, lasst mich in Ruhe! Dabei war er es, der seinerzeit als Erster bereit war, mit anderen, seien es Journalisten oder politische Gegner, auf Augenhöhe zu diskutieren und seine Positionen zu verteidigen. Vorher hatte man Politiker nur gesehen, wenn sie Reden hielten oder Reportern Audienzen gewährten.

Die Spitzenkandidaten Sebastian Kurz, Pamela Rendi-Wagner, Norbert Hofer, Beate Meinl-Reisinger, Peter Pilz (Liste Jetzt) und Werner Kogler.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Insofern ist die allgemeine Sichtbarkeit und Angreifbarkeit von Wahlkämpfern ein Fortschritt. Aber inzwischen ist der Fernsehwahlkampf mehr und mehr zur Show geworden. Eine Arena. Auftrittsmusik. Farbige Scheinwerferlichtspiele. Und dann der Einmarsch der Stars. Die Persönlichkeit ist alles, die Inhalte treten in den Hintergrund. Das Publikum wartet auf "Sager", die dann zitiert und weitergegeben werden, unabhängig davon, ob sie etwas Wichtiges enthalten oder nicht. Salatblättchen. Schmutzkübel. Drinks bei Sonnenuntergang.

Showqualitäten

Längst sagen die Leute nicht mehr: Ich wähle die ÖVP. Oder die SPÖ. Oder die Grünen oder die Neos. Sie sagen: Ich wähle den Kurz, die Rendi, den Kogler oder die Meinl-Reisinger. Oder den Pilz. Die Kandidaten müssen, ob sie wollen oder nicht, Showqualitäten entwickeln, wenn sie Erfolg haben wollen. Hätte ein kluger, zurückhaltender, dem Rampenlicht abholder Politiker überhaupt eine Chance, auch wenn er fachlich und politisch hervorragend wäre? Schwer zu sagen. Der Trend geht in eine andere Richtung: Inszenierung vor Qualität.

Jeder Wahlkampf ist anders, jeder hat seine eigene Atmosphäre und seine eigenen Themen. Beim letzten Mal drehte sich alles um die Migration, heute dreht sich alles in erster Linie ums Klima, in zweiter um die Parteienfinanzierung. Entspricht das wirklich den Interessen der Wähler? Sind es die Bürger, die die Themen setzen, oder doch auch die Medien, die Influencer, die Spindoktoren?

Dass Greta Thunberg und ihre jugendlichen Anhänger erreicht haben, dass der Klimaschutz das Ausländerbashing aus den Schlagzeilen verdrängt hat, ist eine gute Sache. Aber dass eine ordentliche Integrationspolitik und der Umgang mit den hunderttausenden Zuwanderern in der öffentlichen Diskussion kaum noch eine Rolle spielt, ist schade. Bei den ORF-Sommergesprächen kam das Thema überhaupt nicht zur Sprache. Dabei geht unter, dass weiterhin Menschen abgeschoben werden, auch wenn sich später erweist, dass die Asylverweigerung unrechtmäßig war. Auch das gehört ins Kapitel Wahlkampf als Show: Probleme kommen in und aus der Mode. Nicht gut für die Demokratie. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 11.9.2019)