Szenenbild aus Wajdi Mouawads "Vögel".
Foto: Matthias Horn

Es war Joseph II., der das Burgtheater 1776 zum "Teutschen Nationaltheater" erklärte. Diese Maßnahme richtete sich gegen die Dominanz des Französischen und Italienischen auf der Bühne und sollte zu einer Aufwertung der Landessprache führen. 243 Jahre später soll Mehrsprachigkeit auf der größten Bühne des Landes wieder Einzug halten.

Der neue Direktor des Burgtheaters, Martin Kušej, engagierte nicht nur etliche Schauspieler mit nichtdeutscher Muttersprache, sondern eröffnet seine Intendanz auch programmatisch mit einem viersprachigen Stück: Nach den Bakchen heute Abend wird morgen im Akademietheater Vögel gegeben, ein Stück des frankokanadischen Autors Wajdi Mouawad, in dem neben Englisch und Deutsch auch Hebräisch und Arabisch gesprochen wird

Mit dieser Entwicklung hin zu Mehrsprachigkeit folgt das Burgtheater einem Trend, der an vielen europäischen Bühnen längst angekommen ist: Im Zuge der Globalisierung lösen sich auch Theater stärker aus ihrer lokalen Verankerung. Regisseure werden über Sprachgrenzen hinweg engagiert, Ensembles internationaler, auf den Bühnen halten Multilingualität und Übertitel Einzug. Was das für Theatermenschen bedeutet, das haben wir mit Kušej, zwei Schauspielerinnen und dem Regisseur von Vögel besprochen.

Salwa Nakkara: Sprache bildet eine Welt ab

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Salwa Nakkara ist Gast im Burgtheaterensemble.
Foto: Getty Images/Clemens Bilan

Ich spiele in Vögel die Großmutter, die in Jerusalem lebt und Hebräisch und Englisch spricht. Ich selbst lebe in Haifa, bin Palästinenserin, meine Muttersprache ist Arabisch. Ich habe in den vergangenen 35 Jahren oft in jüdischen Theatern in Israel gespielt, insofern ist es für mich nicht ungewöhnlich, nicht in meiner Muttersprache auf der Bühne zu stehen. Wenn man in einer bestimmten Sprache spielt, muss man auch in ihr denken. Ansonsten wird man eine Figur auf der Bühne kaum zum Leben erwecken. Das erfordert in einer Fremdsprache viel Übung. Ich arbeite seit einem Jahr in einer internationalen Theatertruppe, wir koproduzieren mit vielen Theatern und spielen in unterschiedlichen Sprachen. Das ist eine große Bereicherung, weil Sprache nicht nur aus Worten besteht. Sprache ist wie Musik, die eine Kultur widerspiegelt. Arabisch schillert in so vielen Farben, es gibt viele Sprachbilder, der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Spricht man Arabisch, dann spiegelt sich das auch in der Mimik, im Körper wider. Genauso ist es in anderen Sprachen. Das ist in Zeiten, in denen Rassismus und Nationalismus um sich greifen, wichtig. Ich weiß, dass Übertitel auf der Bühne nicht jedermanns Sache sind. Aber es zahlt sich aus, sich auf sie einzulassen. Bitte verlieren Sie dabei aber nicht den Schauspieler aus den Augen! Unter Umständen geht man einfach ein zweites Mal in eine Vorstellung.

Itay Tiran: Nicht die Literatur vorziehen

Itay Tiran ist neu im Burgtheaterensemble und führt bei der Produktion "Vögel" Regie.
Foto: APA/BURGTHEATER/KATARINA SOSKIC

Eine Produktion wie Vögel macht uns dar auf aufmerksam, dass Theater aus viel mehr besteht als nur aus Worten. Ich denke, manchmal sollte man ins Theater gehen, ohne dass man ein Wort versteht. Die Aufmerksamkeit richtet sich dann ganz selbstverständlich auf andere Dinge als die Sprache. Ich habe mich zwar über die deutsche Literatur in die deutsche Sprache verliebt, aber stellen wir im Theater nicht die Literatur über alles andere! Bewegung, Gefühle, menschliche Verhaltensweisen, verschiedene Ästhetiken spielen eine mindestens genauso große Rolle.

In Israel ist es ganz selbstverständlich, dass Schauspieler mit Akzent spielen. Ich hoffe, auch in Europa macht das bald Schule. Ich selbst spreche drei der vier Sprachen, in denen Vögel geschrieben ist. Hebräisch ist meine Muttersprache, Englisch meine erste, Deutsch meine zweite Fremdsprache. Arabisch spreche ich nur einige wenige Worte. Die Frage, die sich in einer solchen multilingualen Inszenierung stellt, ist, welche Mentalitäten und welche Identitätskonzepte mit den jeweiligen Sprachen einhergehen. Es ist erstaunlich, worauf man da alles draufkommt!

Sprache ist zugleich Waffe und Orakel. Was meine ich damit? Wir schützen uns durch Sprache, aber wir definieren uns auch durch sie. Der Schauspieler Ben Kingsley, mit dem ich die Ehre hatte zu spielen, sagte einmal: "Gib mir eine Maske, und ich sage dir die Wahrheit."

Martin Kušej: Ein Akzent ist nicht störend

Martin Kušej ist der neue Direktor des Burgtheaters.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Das Burgtheater ist eines der größten und wichtigsten Theater, sein Herz ist sein Ensemble. Für mich ist diese Topqualität des Ensembles zentral. Und so habe ich Schauspielerinnen und Schauspieler auch aus nichtdeutschsprachigen Ländern engagiert, deren Qualitäten mich begeistern.

Dass ihr Deutsch einen Akzent hat oder dass wir von ihnen vielleicht ab und zu eine Passage in einer anderen Sprache hören werden, stört mich dabei überhaupt nicht. Das Burgtheater steht in einer Stadt, in der man mittlerweile andere Sprachen hört. Ich selbst spreche mehrere Sprachen, aber höre in Wien auch oft Worte und Sätze in Sprachen, die ich nicht verstehe. Wien ist ganz klar mehr als nur Deutsch bzw. Österreichisch. Das Theater sollte dem Rechnung tragen – mit seiner Arbeit und damit auch mit einer Vielsprachigkeit auf unseren Bühnen. Ein wunderbares Beispiel ist unsere Eröffnungspremiere im Akademietheater – Vögel von Wajdi Mouawad.

Auf der Bühne werden vier Sprachen gesprochen. Wir bieten Übertitel an, die ins Bühnenbild integriert sind. Aber auch wenn man diese nicht mitliest, transportiert sich die Geschichte über die Spielerinnen und Spieler.

Sabine Haupt: Übertitelungen können helfen

Sabine Haupt ist seit vielen Jahren Teil des Burgtheaterensembles.
Foto: Katarina Šoškic

Wir leben in einer mehrsprachigen Welt, und das sollte auch das Theater abbilden. In meinem Freundeskreis gibt es viele Menschen, die liebend gern ins Theater gingen, aber sie können die sprachlichen Hürden nicht nehmen. Übertitelungen im Theater könnten da helfen. Auf vielen Bühnen ist das international längst üblich. Touristen, die so zahlreich nach Wien kommen, könnten damit in Zukunft nicht nur in die Staatsoper, sondern auch ins Burgtheater gehen.

Das Missverständnis besteht darin zu glauben, dass damit nicht mehr die deutschsprachigen Autoren gepflegt würden, dass die deutsche Sprache ins Hintertreffen geriete. Dabei schließt das eine das andere nicht aus. Es wurde höchste Zeit, dass das Ensemble des Burgtheaters internationaler wird. Martin Kušej riskiert damit, Publikum zu verlieren. Er gewinnt damit aber auch eines. Vögel-Regisseur Itay Tiran etwa hat ein ganz anderes Verhältnis zu Pathos. Dem müssen wir uns als Ensemble stellen, und das ist eine große Herausforderung. Ich spiele Nora und spreche auf der Bühne Deutsch und Englisch. Markus Scheumann, der meinen Mann spielt, musste dagegen große Passagen Hebräisch lernen. Ich beneide ihn um diese Erfahrung. (Stephan Hilpold, 12.9.2019)