In ihren Zugängen zum Thema unterscheiden sich die katalanischen Parteien mitunter – für drei von sieben Parteien ist jedenfalls die Unabhängigkeit das finale Ziel.

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Nur wenige Wochen vor dem für Ende September oder Anfang Oktober erwarteten Urteil des Obersten Gerichtshofs in Madrid gegen zwölf angeklagte katalanische Aktivisten hat die Unabhängigkeitsbewegung am Mittwochnachmittag einmal mehr ihre Stärke demonstriert. Den Unabhängigkeitsaktivisten und Mitgliedern der ehemaligen katalanischen Regierung drohen wegen "Rebellion" und "Aufstand" in Zusammenhang mit dem von Madrid verbotenen Unabhängigkeitsreferendum von 2017 bis zu 25 Jahre Haft. Neun der Angeklagten sitzen schon seit knapp zwei Jahren in Untersuchungshaft.

600.000 Menschen folgten der Polizei zufolge dem Aufruf der Bürgerbewegung Katalanische Nationalversammlung (ANC), des Kulturvereins Òmnium Cultural sowie der Vereinigung der Gemeinden und gingen aus Anlass des Nationalfeiertags "Diada" auf die Straße. In Form eines riesigen Sterns mit einem kilometerlangen Schweif füllten sie mehrere Hauptverkehrsadern Barcelonas. Der Schnittpunkt lag symbolträchtig auf der Plaça d’Espanya – dem Platz Spaniens.

Die Teilnehmer kamen aus der gesamten Region im spanischen Nordosten zum Start der Kundgebung um 17.14 angereist. Die Uhrzeit ist kein Zufall. Es ist die achte Großdemonstration anlässlich der Diada am 11. September – dem Tag, an dem der Einnahme Barcelonas im Erbfolgekrieg 1714 gedacht wird. Für die Katalanen ist dies das Datum, an dem sie ihre Unabhängigkeit an Spanien verloren.

Breite Allianz

Neben den Bürgerbewegungen hatten auch die in Katalonien gemeinsam regierenden Unabhängigkeitsparteien, die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) unter dem inhaftierten ehemaligen Vizeregierungschef Oriol Junqueras und die Partei für Katalonien (JxCat) unter dem in Brüssel lebenden Ex-Premier Carles Puigdemont, zur Demons tration aufgerufen. Die linksalternative Partei Gemeinsam für Katalonien der Bürgermeisterin Barcelonas, Ada Colau, blieb dem Aufmarsch fern. Man zeige sich zwar solidarisch mit den Inhaftierten und trete für ein Referendum über die Zukunft Kataloniens ein, sei aber gegen die Unabhängigkeit von Spanien.

"Wir wollen zeigen, dass es auf unterschiedlichen Wegen Berührungspunkte gibt, um uns auf ein gemeinsames Ziel zu einigen", erklärte die ANC-Vorsitzende Elisenda Paluzie, warum die Form eines Sterns gewählt wurde. Erstmals hatten die Veranstalter keine Politiker in den ersten Reihen zugelassen. Sie straften die Parteien, die für die Unabhängigkeit eintreten, für die fehlende gemeinsame Strategie angesichts des bevorstehenden Urteils ab.

ERC und JxCat, die gemeinsam regieren, streiten sich seit Monaten. Während ERC nach der Urteilsverkündung Neuwahlen will (und somit eine Regierung der nationalen Einheit unter Beteiligung von Kräften, die zwar für ein Referendum aber nicht für die Unabhängigkeit eintreten), setzt JxCat auf die Beibehaltung der derzeitigen Regierung und breiten zivilen Ungehorsam gegenüber Madrid.

Die Urteilsverkündung wird spätestens für den 16. Oktober erwartet. An diesem Tag sitzen zwei der neun Inhaftierten genau zwei Jahre in U-Haft. Ohne Urteil müsste diese von den Richtern am Obersten Gerichtshof in Madrid verlängert werden.

Machtpoker mit und um Sánchez

Als allerfrühester Termin hingegen gilt der 23. September. Denn bis dahin hat der in Madrid amtierende Ministerpräsident, der Sozialist Pedro Sánchez, Zeit, sich erneut vom Parlament zum Regierungschef wählen zu lassen. Ein zu erwartendes hartes Urteil könnte diesen mehr als schwierigen Prozess zusätzlich kompliziert gestalten. Denn während JxCat ankündigt, gegen Sánchez zu stimmen, will ihm ERC den erneuten Weg in den Regierungspalast mit einer Stimmenthaltung erleichtern. Nach einem Urteil wäre dies wohl für die Katalanen kaum möglich, ohne zu Hause als Verräter zu gelten.

Der katalanische Regierungschef Quim Torra richtete sich am Vorabend der Diada in einer Fernsehansprache an die Katalanen. "Es wird nötig sein, jedes Recht auszuüben, das uns verweigert wird", unterstützte er die angesichts des Urteils zu erwartenden Proteste. Torra selbst muss Ende des Monats vor Gericht: Ihm droht wegen "Ungehorsams" die Amtsenthebung. Der Grund: Er hatte sich mehrere Tage lang geweigert, der Anweisung der spanischen Wahlaufsicht Folge zu leisten, als diese vor den Parlamentswahlen im April verlangte, vom Regierungspalast in Barcelona ein Transparent zu entfernen, das Solidarität mit den Inhaftierten bekundete. (Reiner Wandler, 11.9.2019)