Schaut nicht gut aus. Also die Zukunft, geht man nach Kaspar Colling Nielsen.

Foto: Isak Hoffmeyer

Einer der derzeit gern über Social Media geteilten Essays zum Thema Klimawandel und unvermeidliche Apokalypse nennt sich What if we stopped pretending? The climate apocalypse is coming. Geschrieben hat ihn US-Großschriftsteller Jonathan Franzen für die Zeitschrift The New Yorker. Und er zitiert darin als frühzeitiges Resümee seinen altvorderen, allerdings etwas spitzbübischer gesinnten Kollegen Franz Kafka mit einer alten Wuchtel: "Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns."

Wir sehen im Fernsehen die brennenden Amazonaswälder. Trockenheit und Dürre einerseits, Überflutungen und Taifune andererseits wüten durch unsere Smart News, der Borkenkäfer ist mitten unter uns und schmatzt sich durch die Chronikteile in den Kleinformaten. Dort drin verschwinden auch die Bienen und schmelzen die Polkappen.

Keine Hoffnung für uns, nirgends. Oder doch, an alle, die es sich leisten können: Auf nach Lolland, einer Insel südlich von Kopenhagen! Die Gated Community auf zünftiger Biobasis (Hightech und Lederhose), das mit Privatarmee, Drohnen und Schießbefehl gesicherte Paradies für die reichen "Reichsbürger" verspricht den Frieden in unsicheren Zeiten.

Krieg in den Städten

Der dänische Autor Kaspar Colling Nielsen fügt im Roman Der europäische Frühling der schauerlichen Realität schon unserer Zeit in naher Zukunft noch das derzeit politisch gängige und literarisch angesagte Schauerbild vom Krieg und Terror in den unbewohnbar gewordenen Städten hinzu. In denen liefert sich die sozial deklassierte und migrantische ra dikale Minderheit (oder Mehrheit?) der Gesellschaft Straßenschlachten mit dem Militär und der Exekutive, den Besitzstandwahrern eines kaputten Systems.

So es um die Verdichtung gesellschaftlicher Tendenzen und um böse wie begründete Ahnungen geht, wird Nielsen völlig zu Recht als dänische Antwort auf Michel Houellebecq verkauft. Der Umstand, dass im Roman, der im zerrütteten und moralisch ganz und gar nicht gefestigten Multimillionär-, Künstler- und Akademikermilieu spielt, auch ordentlich gegen die aktuelle Rechtslage herumgevögelt wird, dürfte auch zu seinem deutschen Erscheinen beim Heyne-Hardcore-Verlag geführt haben.

Der zeichnet sich in den letzten Jahren durch heftige Meisterwerke wie Eine kurze Geschichte von sieben Morden des jamaikanischen Autors Marlon James aus, Nico Walkers US-Opiatkrisenroman Cherry oder das russische "Businessmen"-Sittenbild Seelenkalt von Sergej Minajew. Hier wird auf literarischem Gebiet eine Relevanz erzeugt, die in der Gesellschaft dorthin geht, wo es wirklich wehtut.

Beängstigend zukunftsnah

Der gallige Humor kommt in Der europäische Frühling bei den Protagonisten, Best Agern, die mit Punk, New Wave, Koks und schlechter (Aktions-)Kunst aufgewachsen sind, nicht zu kurz. Es geht allerdings auch darum, dass menschliche Arbeit bald nicht mehr in größeren Ausmaßen gebraucht werden wird. Es geht um künstliche Intelligenz, Drohnen, die nicht nur den Krieg und das Töten erledigen, sondern auch die Essenslieferungen, die Feldarbeit und die Totalüberwachung. Es geht darum, dass man nach dem ewigen Leben forscht und versucht, Tiere zu intelligenten, also menschlich denkenden Dienern des Menschen zu machen. Grundfragen der Philosophie und die tiefe Leere und Traurigkeit des sogenannten modernen Menschen ergänzen das Bild.

Einer der in dieser Dystopie vorkommenden Schrecken klingt beängstigend zukunftsnah: Um sich der nutzlosen und natürlich oft auch straffällig gewordenen Mi granten zu erwehren, verfrachtet man sie von Dänemark aus in schwerbewachte Endlager nach Mosambik. Dänemark hat dafür in Afrika fruchtlose Wüste angekauft.

All das kann nicht gutgehen. Über den Versuch, einen weiblichen Affen mittels Nanotechnologie zu einem intelligenten Hybriden aus Mensch und Tier zu formen, heißt es im Roman: "We gave her a rifle, but she uses it as a baseball bat!" Spoiler: Am Ende wird der Mensch zwar siegen, es gibt ihn so bloß nicht mehr. (Christian Schachinger, 11.9.2019)