Noch einmal Schwein gehabt? Jakob (Simon Frühwirth) durchmisst alle Stadien der Entfremdung.

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Schon ab der ersten Minute verspricht der Film größtes Unbehagen. Gregor Schmidingers Langfilmdebüt Nevrland beginnt mit einer Warnung vor starken Lichteffekten, die Epilepsieanfälle und Panikattacken auslösen können. Angst ist hier das zentrale Element, das den gesamten Film bestimmt und auch an österreichische Filmgeschichte denken lässt.

Die Disco scheint der Ort des österreichischen Feel-Bad-Kinos zu sein. In den 1990er/2000er-Jahren wurde dieses von einer Generation überwiegend weiblicher Filmemacherinnen und ihren Protagonistinnen geprägt, man denke nur an Barbara Alberts Böse Zellen oder Fallen. In den letzten Jahren war eine Abwendung des heimischen Films vom trübsinnigen Sozialrealismus spürbar, Hans Hofers Zweisitzrakete etwa oder Marie Kreutzers Was hat uns bloß so ruiniert ließen ein positiveres Milieu und Weltbild zu.

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Schmidinger hat nun mit Nevrland eine erneute, radikalere Hinwendung zum Feel-Bad-Kino gewagt und setzt hier ausnahmslos auf männliche Darsteller: der 17-jährige Jakob (Simon Frühwirth) leidet an einer Angststörung und an distanzierten familiären Verhältnissen. Er lebt mit seinem Vater (Josef Hader) und seinem pflegebedürftigen Opa (Wolfgang Hübsch) in einer Wohnung und hilft im Schlachthausbetrieb aus. Ausflüchte findet er im Internet auf Pornoseiten oder im Gay-Chat, wo er den Kunststudenten Kristjan (Paul Forman) kennenlernt. Frauen sind in Nevrland nur Statisten, werden entweder in einem Nebensatz erwähnt, zeigen sich als Verirrte im Chat oder prangen als Feuermal am Körper. Auch bei Schmidinger wird die Techno-Disco gleichzeitig zum Zufluchtsort, Darkroom, Gefängnis und zur Fantasiehölle.

Rhythmus und Lichteffekte

Denn Nevrland wird vor allem durch seinen Rhythmus und durch Lichteffekte bestimmt. Die elterliche Wohnung ist still und dunkel, nur das Flackern des Fernsehers im Dauerbetrieb macht Effekt. Dieser verstärkt sich im stroboskopartigen Blitzgewitter der Diskothek zum Technotakt. Immer öfter wiederholen sich Symbole, verschwimmen ineinander und erscheinen in neuen Kontexten wieder. Nur als Jakob auf Kristjan trifft, verlangsamt der Film sein Tempo, bevor er wieder rasende Fahrt aufnimmt.

Hier scheint das Medium selbst im Mittelpunkt zu stehen: Es produziert Angst, wird unscharf und sperrt ein; das Bild fährt los wie eine Achterbahn, bevor es im Nichts verpufft. Auch das erinnert an einen heimischen Avantgardefilm der 1990er. In Peter Tscherkasskys Outer Space wird das Medium Film selbst zum Außerirdischen, der die Protagonistin attackiert. Schmidingers Nevrland ist definitiv ein Film fürs Kino. Der Regisseur hat einen intensiven Trip inszeniert, der die Grenzen zwischen Drogenrausch, Tod, Panikattacken, Outing und Teufelsaustreibung aufhebt. (Katharina Stöger, 13.9.2019)