Das Problem ist aber lösbar.

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Das Phänomen ist weitgehend unbekannt, kaum jemand spricht offen darüber: Viele Leistungssportler leiden unter Inkontinenz, vor allem Frauen sind betroffen. In manchen Sportarten liegt die Quote der Leidtragenden bei bis zu siebzig Prozent. Scham lässt die meisten jungen Frauen schweigen. Dabei könnte das Problem gut behandelt werden, sagt die Gesundheitswissenschafterin Birgit Schulte-Frei von der Hochschule Fresenius. Vorausgesetzt, Therapeuten und Sportvereine finden Wege der Zusammenarbeit.

"Noch haben wir zu wenige Physiotherapeuten in Deutschland, die ihren Fokus auf diese Thematik legen", sagt Schulte-Frei. Der erste notwendige Schritt ist laut der Expertin die Aufklärung von Sportlerinnen, ihren Eltern und Trainern. "Wir stehen hier noch ganz am Anfang. Wir müssen Sportlerinnen Mut machen, das Thema offen anzusprechen. Das ist möglich, wenn wir entdramatisieren und enttabuisieren."

Beckenbodenmuskulatur stärken

Es könne nicht angehen, dass junge Frauen mehrere Jahre unter einem lösbaren Problem leiden, nur weil niemand darüber sprechen will, kritisiert Schulte-Frei. Diese Fälle sind nicht selten, wie die Expertin aus Erfahrung weiß. Außerdem sei es vonnöten, insbesondere bei Leistungs- und Hochleistungssportlerinnen Übungen zur Stärkung der Beckenbodenmuskulatur in den Trainingsplan zu integrieren.

Was das Problem zusätzlich verschärft: Häufig gehen Trainer davon aus, dass der Beckenboden von Leistungssportlerinnen besonders stark ist und aufgrund eines überdurchschnittlich guten Körperbewusstseins auch bei extremer Belastung adäquat funktioniert. Zahlreiche Studien haben allerdings gezeigt, dass Fehlfunktionen des Beckenbodens bei Leistungssportlerinnen ein häufiges Problem darstellen.

Stress und Leistungsdruck reduzieren

Bei den körperlichen Voraussetzungen spielen laut Schulte-Frei nicht etwa gynäkologisch-urologische Aspekte eine Rolle, in dieser Hinsicht seien die Athletinnen vollkommen gesund. Vielmehr sorge etwa starkes Untergewicht dafür, dass auch die Beckenbodenmuskulatur geschwächt ist. "Manche Sportlerinnen treiben es mit dem Abnehmen so weit, dass der Körper nur noch auf Überleben programmiert ist und die Regel für lange Zeit – teilweise über mehrere Jahre – ausbleibt. Dafür ist meistens ein ungesunder Leistungs- beziehungsweise Erfolgsdruck verantwortlich, der häufig genug auch von außen kommt. Verbunden mit hohen biomechanischen Belastungen ist dann Inkontinenz die fast schon logische Konsequenz", sagt Schulte-Frei.

Eine systematische Literaturrecherche aus dem Jahr 2018, in der die Ergebnisse aus 28 einschlägigen Studien berücksichtigt wurden, zeigte, dass zu den größten Risikofaktoren Trainingssteuerung und -beanspruchung, hormoneller Status und psychische Verfassung zählen. Diese Faktoren können nicht nur zeitgleich einwirken, sondern beeinflussen sich auch gegenseitig. Bei etwa jeder fünften Athletin führt eine Zunahme der Symptomatik zum Abbruch der sportlichen Karriere. Demnach sei es ratsam, den Stress zu reduzieren und Druck von den Sportlerinnen zu nehmen, wie die Gesundheitswissenschafterin betont.

Die Beanspruchungen treten vor allem in Sportarten mit vielen Sprungelementen auf, etwa Leichtathletik, Volleyball, Handball und Basketball. Kritisch wird es bei übertriebenem Training und gleichzeitiger Vernachlässigung der Beckenbodenmuskulatur. "Grundsätzlich ist nämlich der harte Boden bei diesen Sportarten nicht das Problem. Der Aufprall setzt wichtige Reize für die Ausbildung der Muskulatur. Deshalb sieht man heute auch das früher so verpönte Joggen in einem anderen, positiveren Licht. Tatsächlich gibt es die meisten Betroffenen beim Trampolinspringen – der weiche, nachgebende Untergrund ist Gift für die Beckenbodenmuskulatur", resümiert Schulte-Frei. (red, 15.9.2019)