Nicolas Altstaedt (Cello): Schleusenwart im Gefühlskraftwerk.

Marco Borggreve

Soundchallenge Anreise: Im vollgepressten Rex in die burgenländische Kapitale – da haben es die Ölsardinen in ihrer Büchse kommoder – spielt es ein halbstündiges Bürotratschterzett, prestissimo e fortissimo. In der sanft ansteigenden Bahnstraße ergötzt sich die Jugend Eisenstadts an gelassen großkotzigem Gangsterrap. Am Eingang von Schloss Esterházy werden die Fanfarenbläser von den Feuerwehrsignalhörnern (Großeinsatz!) in einen kakofonischen Infight verwickelt und niedergerungen. Ruhääääh! Aber nein, jetzt geht erst einmal das Eröffnungskonzert des Herbstgold-Festivals los.

Wie in den letzten zwei Jahren darf auch heuer die Haydn Philharmonie samt Chefcharismatiker Nicolas Altstaedt ran. Altstaedt hat die Haare schön und sticht mit Verve rein in die ersten Forte-Takte der Adagio-Einleitung von Haydns Symphonie Il distratto, die folgende Pianophrase ist frühlingsweich. Gegensätze verlebendigen die Interpretation der ursprünglichen Schauspielmusik.

Handwerklich hochklassig

Schön: Alles Musizieren ist hier grundiert vom Beat, vom Tanz (ob grazil oder vital) und überwölbt vom Gesang der Melodie. Unterschiedlichste Szenerien entstehen flugs vor dem geistigen Auge. Altstaedt und die Haydn Philharmonie bieten eine Zerstreuung der konzentriertesten Art, nehmen die Unterhaltungsmusik ernst. Es folgen Vier transsylvanische Tänze (aus 1944) von Sándor Veress: handwerklich hochklassige Musik der gemäßigten Moderne. Nach Schostakowitschs erstem (2017) und Elgars einzigem (2018) Cellokonzert verwandelt sich Altstaedt als Solist von Robert Schumanns Cellokonzert erneut in ein Gefühlskraftwerk von hohem Schauwert, ist Zürnender, Klagender, Flehender, Flüsternder. Zum Abschluss wird Haydns drittletzte, in London uraufgeführte Symphonie mit all ihrem Stimmungsreichtum und ihrem Witz zu klingendem Leben erweckt.

Manche konfrontative Kommunikation zwischen den Orchesterstimmen erinnert an die Debatten im britischen Unterhaus, als in diesem noch debattiert werden durfte. Die letzte Klangchallenge: Jubel im Haydn-Saal. (Stefan Ender, 13.9.2019)