Wunden der Gesellschaft: Choreografin und Tänzerin Florentina Holzinger in "Tanz".

Something Great

Was war das für ein Hit, der Eighties-Schlager Words Don't Come Easy von F. R. David! Nach diesem Herzenserguss ist auch eine Podiumsdiskussion benannt, die das Tanzquartier Wien (TQW) während seines Themenschwerpunkts Word über die oft sehr emotionalen Beziehungen zwischen Worten und Tänzen plant.

Theorie steht nach wie vor hoch im Kurs des TQW. Und praktisch gibt dessen Intendantin Bettina Kogler nach der zweiten Saison bekannt, dass sich das Kuratorium des Hauses für eine Verlängerung ihres aktuellen Vertrags, der bis 2021 läuft, "um weitere vier Jahre ausgesprochen" habe. In der vergangenen Spielzeit wurden laut Ulrike Heider-Lintschinger, kaufmännische Leiterin des Tanzquartiers, insgesamt 43.486 Besucher gezählt. Zum Vergleich: 2015/16 waren es dem damaligen Intendanten Walter Heun zufolge 53.057. Im Jahr 2013 hatte das TQW noch 46.550 Besucher. Steigerungen sind also möglich.

Für 2019/20 gibt Kogler auch einen Neuzugang bekannt. Mit Thomas Edlinger und Janez Janša arbeitet nun auch die deutsche Filmerin und Musikspezialistin Janine Jembere, die das Gebiet der queer-postkolonialen Theorie im Team vertritt. Anlass genug, ihr ein paar Fragen zu stellen.

STANDARD: Warum braucht Tanz die Theorie?

Jembere: Ich weiß nicht, ob er tatsächlich Theorie braucht. Aber ich glaube, es ist bereichernd, über Tanz zu reden. Einerseits, um mit der Gesellschaft in Verbindung zu treten und Linien aufzuzeigen, die vielleicht nicht offensichtlich sind. Andererseits, um Verbindungen zwischen verschiedenen Feldern zu knüpfen.

STANDARD: In Bezug auf das Tanzquartier – welche Verbindungen haben Sie zur Tanztheorie?

Jembere: Ich selbst habe keinen Hintergrund in Tanz oder Tanztheorie. Wir sind hier ja ein Dreierteam im Kuratorium, und da ist Janez Janša derjenige, der aus der Choreografie kommt. Und dann gibt es noch einen eher popkulturellen Zugang von Thomas Edlinger. Ich beschäftige mich mit politischen Diskursen.

STANDARD: Wofür braucht Kunst generell die Theorie?

Jembere: Ich glaube, dass Theorie in allen Feldern dazu da ist, Dinge zu verstehen, auch anders zu verstehen – über das Unmittelbare hinaus. Und auch um Bezüge herzustellen. Aber ich denke nicht, dass man zum Beispiel als Tänzer total theoretisch versiert sein muss. Wir im Kuratorium arbeiten an der Kontextualisierung, und die Rezeption dessen, was wir anbieten, ist nochmals anders: Da kommt das Publikum ins Spiel, das verschiedene Verbindungen, die wir aufzeigen, annehmen kann oder auch nicht.

STANDARD: Wie sehen Sie die Funktion von Theorie im Tanzquartier?

Jembere: Im Verbinden der Arbeiten, die hier produziert werden, mit Theorie, Archivierung, Workshops. Das TQW ist ein Haus, das ganz viele Momente des Tanzes zusammenbringt. Es ist ein Schatz, das alles so konzentriert an einem Ort zu haben.

STANDARD: Was haben Sie, Edlinger und Janša jetzt vor?

Jembere: Am Beginn steht tatsächlich eine gemeinsame Sache von uns dreien, ein Nachmittag unter dem Titel Words Don't Come Easy zu Text und Tanz, zum Verhältnis zwischen dem gesprochenen oder geschriebenen Wort und Performance beziehungsweise Tanz.

STANDARD: Sie sind auf postkoloniale und Queer-Theorie spezialisiert. Wie bringen Sie die mit dem Tanz zusammen?

Jembere: In der queeren Theorie ist die Beschäftigung mit Körpern und Zuschreibungen sehr stark – wie Körper "gelesen" werden –, und das wird in einigen Stücken im TQW verhandelt. Etwa bei Meg Stuarts Celestial Sorrow im November, einer Performance, in der es viele Anknüpfungspunkte an die postkoloniale Theorie gibt, was Gewalt und Trauma betrifft. Ich verstehe Postkolonialismus nicht nur als Beschäftigung mit der Kolonisation, sondern, ähnlich wie in der Queer-Theorie, als Frage nach Macht und deren Reproduktion. Verhandelt werden scheinbar fixe Positionen – mit dem Wunsch, aus diesen auszubrechen. (Helmut Ploebst, 13.9.2019)