Von Juni 2018 bis August 2019 trat Giuseppe Conte als Repräsentant einer teils stark rechten Regierung in Brüssel auf. Ab sofort vertritt er Italiens Interessen in der EU als Premier eines linken Kabinetts.

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Für Lega-Chef Matteo Salvini sind Giuseppe Conte und die Fünf-Sterne-Bewegung, seine ehemaligen Koalitionspartner, nur noch "würdelose Verräter, die an ihren Sesseln kleben". Das ist der Ton, mit dem der alte und neue italienische Ministerpräsident nun konfrontiert ist. Mit seinem Vorwurf stellt der Ex-Innenminister und Ex-Vizepremier Salvini die Tatsachen auf den Kopf: Immerhin war er es, der dem parteilosen Conte am 8. August mit einem Misstrauensantrag in den Rücken fiel und damit die Regierung aus Lega und Fünf Sternen platzen ließ.

Aber das spielt für ihn keine Rolle: Von nun an wird Salvini die neue Regierung als fünfte Kolonne im Solde der EU-Bürokraten und der Hochfinanz denunzieren, die Italien wieder "mit Migranten füllen" und "ethnisch austauschen" wollen.

Der politische Umsturz, den Italien in diesem verrückten Sommer erlebt hat, ist jedenfalls denkwürdig: Die alte Regierung, dominiert von Salvini, stand so rechts wie keine seit Mussolini – die neue Regierung aus Fünf-Sterne-Bewegung und sozialdemokratischem Partito Democratico (PD) ist hingegen die linkeste seit langem.

Viele Gegensätze, ein Premier

Die alte Regierung schloss die Häfen – die neue will die entsprechenden Gesetze überarbeiten. Die alte Regierung sah in "Brüssel" die Wurzel allen Übels – die neue bekennt sich zur EU und zum Euro. Die alte Regierung erließ Amnestien für Steuerbetrüger – die neue will diesem Volkssport ein Ende setzen. Und die groteske Pointe dieser spektakulären Wende: Der Premier ist immer noch derselbe, Giuseppe Conte.

Ob das gutgehen kann? Nach dem turbulenten August sind die Probleme Italiens im September jedenfalls immer noch die gleichen wie im Juli: horrende Staatsverschuldung, stagnierende Wirtschaft, hohe Jugendarbeitslosigkeit. Das "Bürgergeld", mit dem die alte Regierung "die Armut abschaffen" wollte, war eine Mogelpackung. Die Gräben durch die Gesellschaft sind noch tiefer geworden: Aufgepeitscht durch Salvinis Hasstiraden gegen alles Fremde, die EU und die "linke Champagner-Elite", stehen sich seine Anhänger und die Vertreter eines toleranten, weltoffenen und europafreundlichen Italien unversöhnlicher gegenüber denn je.

Das Kabinett Conte II ist demokratisch einwandfrei legitimiert, auch wenn Salvini das Gegenteil suggeriert: Die Fünf-Sterne-Bewegung und der PD waren bei den Parlamentswahlen im März 2018 stärkste und zweitstärkste Partei. Auch in den Umfragen liegt die neue Koalition mit 50 Prozent Zustimmung knapp vor dem Rechtsblock. In der Abgeordnetenkammer und im Senat verfügt die neue Regierung ebenfalls über Mehrheiten – wobei sie im Senat sehr knapp ist. Das könnte zum Pro blem werden.

Innere Zerrissenheit

Gefahr droht der Regierung weniger von außen als von innen. Zwar ist die Schnittmenge zwischen Fünf Sternen und PD größer als die der alten Koalition; aber die "Grillini" (benannt nach ihrem Gründer Beppe Grillo) sind innerlich zerrissen: Die alte Garde aus Globalisierungsgegnern und Umweltschützern ist erleichtert, dass die Koalition mit Salvini Geschichte ist. Die neue Generation versteht sich dagegen immer noch in erster Linie als Antisystempartei und fühlte sich beim hemdsärmeligen Anti-EU-Haudegen Salvini besser aufgehoben als beim Maßanzug tragenden "Euro-Turbo" Conte.

Wo also stehen? Diese Frage gilt besonders für die Migrationspolitik. PD-Chef Nicola Zingaretti fordert, Salvinis Politik der geschlossenen Häfen und der Kriminalisierung privater Retter zu überwinden – die Fünf Sterne und ihr Politikchef Luigi Di Maio sind da sehr viel zurückhaltender. Der neue Außenminister Di Maio und mit ihm der rechte Flügel der Fünf Sterne haben die öffentliche Meinung auf ihrer Seite: Eine klare Mehrheit der Italiener sieht nicht ein, war um ein Rettungsschiff wie die Sea-Watch 3 – unter niederländischer Flagge und unter deutschem Kommando fahrend – die Geretteten nach Italien statt nach Amsterdam oder Hamburg bringen soll.

Die neue Regierung wird zeigen müssen, dass eine humanere und weniger hysterische Flüchtlingspolitik möglich ist, ohne dass das Land gleich wieder von Migranten "überschwemmt" wird. Dies erfordert aber, dass sich die EU-Partner endlich solidarisch zeigen.

Conte hat am Mittwoch im Gespräch mit der designierten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits mit Nachdruck gefordert, die geretteten Flüchtlinge automatisch auf alle Mitgliedsstaaten zu verteilen. Die EU hat die Wahl: Entweder sie kommt Italien entgegen, oder Salvini wird in wenigen Monaten wieder zurück an der Macht sein – und zwar stärker als je zuvor.

Problem: Budget 2020

Ähnliches gilt für die Finanzpolitik: Die Regierung Conte II steht vor der undankbaren Aufgabe, bis Mitte Oktober ein Sparpaket von mindestens 20 Milliarden Euro schnüren zu müssen, um eine mit der EU vereinbarte Erhöhung der Mehrwertsteuer von 22 auf 25 Prozent zu vermeiden. Die Maßnahme wäre reines Gift für die krisengeplagte Wirtschaft.

Das Problem: Wegen der Einführung des Bürgergeldes und einer Rentenreform unter der alten Regierung ist die Staatskasse leerer denn je. Auch hier wird die EU Italien entgegenkommen müssen: Wird das Land in eine finanzielle Zwangsjacke gesteckt und die neue Regierung damit zu einem Blut-und-Tränen-Budget gezwungen, wäre dies für den Rechtspopulisten Salvini hochwillkommene Wahlkampfmunition – mit unüberbietbarer Treffergarantie.

Einen Vorgeschmack gab es zu Wochenbeginn: Tausende Post- und Neofaschisten marschierten in Rom gemeinsam mit Salvini gegen die neue Koalition. Und die "Bestie", wie er seine Social-Media-Truppe nennt, hat er noch gar nicht von der Leine gelassen. (Dominik Straub aus Rom, 13.9.2019)