Der Verfassungsjurist und ehemalige Nationalratspräsident Andreas Khol verteidigt in seinem Gastkommentar das Konzept der wehrhaften Demokratie und ein Verbot der Identitären Bewegung.

Die Frage ist so alt wie Demokratie und Menschenrechtsschutz selbst: Soll man Menschen, Vereinen und Parteien den Schutz der Grundrechte gewähren, die sie dazu verwenden, eben diese Grundrechte zu zerstören? Soll man ihnen die Mittel der Demokratie zur Verfügung stellen, damit sie damit die Demokratie abschaffen können – also auf legalem Weg die Demokratie beseitigen?

Eine wichtige Lehre aus dem Nationalsozialismus war die Entwicklung der wehrhaften Demokratie. Sie schützt die freiheitliche demokratische Grundordnung vor Abschaffung durch legale Beschlüsse. Wer solche plant oder zu verwirklichen sucht, wird mit allen rechtlichen Mitteln bekämpft: Aktivisten, Parteien und andere Organisationen können verboten und verfolgt werden. Verfassungsfeinde können aufgrund ihrer entsprechenden Gesinnung präventiv bekämpft werden, also bevor sie Taten gegen die Grundordnung setzen.

Präventives Verbot

Deutschlands Grundgesetz ist dementsprechend gestaltet, Österreich hat für einen wichtigen, aber beschränkten Bereich das Verbotsgesetz gegen nationalsozialistische Wiederbetätigung. Die Rechtsordnung kennt daher bereits heute das präventive Verbot und die Bestrafung von besonders gefährlichen Gesinnungen.

Die Identitäre Bewegung unlängst bei ihrer Kundgebung in Wien, bei der auch FPÖ-Politikerin Ursula Stenzel mit von der Partie war.
Foto: APA/EXPA/MICHAEL GRUBER

Extreme Vereine können daher verboten werden. Die europäische Grundrechtscharta und die Europäische Menschenrechtskonvention lassen gesetzliche Eingriffe in das Vereins- und Versammlungsrecht ebenso zu wie in das Recht auf freie Meinungsäußerung. Solche Beschränkungen müssen gerichtlich wirksam überprüfbar und "in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen und öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung ... notwendig sein".

Verfassungsgericht prüft

Das Verbot eines laut Verfassungsschutz rechtsextremen Vereins wie der Identitären ist daher durch Gesetz möglich. In Österreich prüft letztlich der Verfassungsgerichtshof, ob die Voraussetzungen vorliegen und ob die Bekämpfung verhältnismäßig ist.

Es ist eine politische Frage, ob man so ein Verbot in Österreich gesetzlich vorsieht – dazu bedarf es gesetzlicher Bestimmungen im Vereinsrecht; wünschenswert wäre auch eine Ergänzung des Strafrechts. Diese ausschließlich politische Entscheidung treffen National- und Bundesrat. Es ist legitim, einen solchen Schritt im Vorfeld einer Wahl zum Gegenstand der politischen Auseinandersetzung zu machen. Österreich hat bisher eine allgemeine Gesetzgebung gegen Verfassungsfeinde nicht für nötig erachtet. Daher ist der öffentliche Diskurs über einen solchen Schritt redlich und legitim. Eine solche Gesetzgebung kann sich an ausländischen Vorbildern und Erfahrungen ausrichten. Vor allem die deutschen Erfahrungen haben gezeigt, dass die gesetzlichen Bestimmungen klar und präzis sein müssen, dass es Garantien für geordnete Beweiserhebungen geben, dass das Rechtsschutzverfahren umfangreich sein muss und dass die Gerichte ganz im Sinne eines wirksamen Grundrechtsschutzes die Frage der Verhältnismäßigkeit sorgsam prüfen müssen. Damit nicht mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird.

Vieles spricht für eine solche Gesetzgebung, manches dagegen. Die Gefährdung unserer Demokratien wird weltweit und allgemein beklagt. Die Parlamente geraten von allen Seiten unter Druck. Die einen lehnen eine "liberale" Demokratie ab, als gäbe es eine andere. Jede Demokratie ist schon vom Begrifflichen her liberal, beschränkt also die Staatsgewalten. Eine illiberale Demokratie ist keine!

Geschlossene Systeme

Politische Kräfte von allen Seiten wollen die ideologische Offenheit der staatlichen Ordnung beseitigen und geschlossene Systeme einrichten. "Demokratie, das ist nicht viel, etwas anderes ist das Ziel": Da kommt Verschiedenes in Betracht – der Nationalsozialismus, ein Gottesstaat, der Sozialismus, u. v. a. m.

Die Gefahren von rechts und links und die Bedrohungen durch Religionen und Sekten nehmen stark zu. Unleugbar ist die Gefahr durch religiöse Fanatiker aus dem Umfeld des Islams. Die Anzahl und das Ausmaß ideologisch extremer Organisationen, die nach ihrer praktischen Tätigkeit und ihren Grundsatzorientierungen die freiheitlich demokratische Grundordnung bekämpfen, nimmt zu. Solange sie legal bestehen, können sie öffentlich auftreten, Versammlungen und Demonstrationen abhalten, werben, Texte veröffentlichen, sich tarnen, umfassend politisch agieren, Mitarbeiter anstellen, Spenden einsammeln und vieles mehr.

Abschreckende Wirkung

Ein mögliches Verbot durch die Behörden hat abschreckende Wirkung, zwingt zur Vorsicht und Mäßigung, verpflichtet aber auch die Behörden zur Beweissammlung und Beweissichtung, also zu Maßnahmen der präventiven Kontrolle. Gegen diese Argumente wird eingewandt, dass man schon bisher Extremismus wirksam bekämpfen konnte, wenn Straftaten bewiesen werden konnten, und dass man die Agitation extremer Organisationen eben aushalten müsse. Man könne doch nicht eine Gesinnung verbieten! Kann man: siehe oben! Verbiete man solche Vereine, würden sie im Untergrund tätig werden, und das sei gefährlich. Abgesehen davon, dass die Extremen auch heute schon überall hineinlangen können, auch außerhalb von Organisationen, übersieht diese Argumentation, dass die Möglichkeiten von nichtverbotenen Organisationen zu groß geworden sind, um einfach riskiert werden zu können – es wird schon nichts passieren. Passiert dann aber doch etwas, dann ist der untätige Staat schuld!

Politik mit letztem Wort

Manche Juristen lehnen solche Grundrechtseingriffe, auch wenn sie zulässig sind, aus grundsätzlichen Überlegungen ab: Das ist aber eine politische, keine rechtswissenschaftliche Entscheidung! Das letzte Wort hat hier, und das müssen auch Kronjuristen hinnehmen, die Politik. Daher ist es wichtig, dass die Diskussion darüber beginnt und ein Beratungsentwurf vorgelegt wird. Dazu soll umfassend und offen Stellung bezogen werden. Die Wahl wird auch diese Frage entscheiden. Der Vorschlag zu solchen Gesetzesänderungen kommt von einer politischen Partei im Wahlkampf. Es wäre ein Zeichen demokratischer Reife, würden Zustimmung oder Ablehnung von grundsätzlichen Überlegungen geleitet sein und nicht von persönlichen Animositäten. (Andreas Khol, 12.9.2019)