Mario Draghi begründet die neuen Maßnahmen mit dem Ziel der Preisstabilität. Experten bezweifeln, dass die Schritte treffsicher sind.

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Ein Hauch von Währungskrieg breitete sich am Donnerstag zwischen Washington und Frankfurt aus. Kurz nachdem die Europäische Zentralbank am Main eine weitere Lockerung der Geldpolitik verkündet hatte, meldete sich Donald Trump per Twitter zu Wort. Der US-Präsident warf der EZB vor, den Euro abzuwerten, was den US-Exporten schade. Tatsächlich begab sich die europäische Gemeinschaftswährung nach der Zinsentscheidung auf Talfahrt und näherte sich dem tiefsten Stand seit 28 Monaten, der erst Anfang September erreicht worden war.

EZB-Chef Mario Draghi konterte prompt und knapp auf die Anschuldigungen Trumps. "Wir zielen nicht auf Wechselkurse ab. Punkt." Das Ziel sei Preisstabilität, wiederholte der scheidende Italiener gebetsmühlenartig. Die Teuerung jedoch will und will nicht anziehen, weshalb Draghi ordentlich nachlegte. Trotz erheblicher Widerstände senkt die EZB den Einlagensatz für Banken von minus 0,4 auf minus 0,5 Prozent. Die Geldinstitute sollen bestraft werden, wenn sie überschüssige Mittel bei der Notenbank bunkern – so der Hintergedanke.

Anleihenkauf

Zudem hat die EZB eine noch umstrittenere Entscheidung gefällt: Es werden wieder Anleihen gekauft. Ein bereits in der Eurokrise gestartetes Programm wird somit wiederbelebt. 20 Milliarden Euro pumpt die Notenbank ab November monatlich in die Märkte, um Zinsen auf Anleihen noch tiefer zu drücken. Und drittens hat die Notenbank jegliche Hoffnung auf eine absehbare Zinswende enttäuscht. Sie wird nach derzeitigem Stand nicht vor 2022 stattfinden, weil bis dahin die Inflation deutlich unter der angestrebten Marke von knapp zwei Prozent liegen wird, bedeuten die Prognosen der Europäischen Zentralbank.

Nicht nur Trump hat seine Probleme mit der Euro-Zentralbank, auch Banken und Sparer leiden unter der Zinsebbe. Vor allem in Deutschland kamen zahlreiche negative Wortmeldungen zur weiteren Lockerung der Geldpolitik. Sie bringt Probleme für Sparer und insbesondere für die Altersvorsorge. Zudem wird der Anstieg der Immobilienpreise mit der Liquiditätszufuhr der Notenbank in Verbindung gebracht.

Hilfe für Italien?

Und auch eine Eskalation im Handelskonflikt wird befürchtet. Die verschärfte Gangart der EZB könnte "eine Abwertungsspirale in Gang setzen, die niemand wollen kann", sagte Hans-Walter Peters, Präsident der deutschen Privatbanken. Ein weiterer Kritikpunkt: Die Maßnahmen der Zentralbank hätten bisher schon die gewünschten Effekte – höhere Inflation und mehr Wachstum – verfehlt. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass die EZB diesmal erfolgreicher sei, erklärte Sebastian Wanke, Ökonom der deutschen Förderbank KfW.

Und letztlich wird – wieder einmal – die Hilfestellung der Zentralbank für angeschlagene Staaten angeprangert, die viele Experten im Ankauf von Staatsanleihen orten. "Mit der Wiederaufnahme der Anleihekäufe zum jetzigen Zeitpunkt sendet der Rat ein gefährliches Signal an Eurostaaten wie Italien. Diese dürfen sich offenbar auf eine dauerhafte Finanzierungshilfe durch die EZB verlassen", findet der Finanzexperte des deutschen Wirtschaftsforschungsinstituts ZEW, Friedrich Heinemann. Sparkassenpräsident Helmut Schleweis brachte die Kritik so auf den Punkt: "Die noch expansivere Geldpolitik bringt mehr Schaden als Nutzen." Die negativen Auswirkungen dieser Politik würden mittlerweile überwiegen.

Sitzung in Moll

Die Sitzung in Frankfurt selbst dürfte nicht allzu harmonisch verlaufen sein. Kritiker der Politik der offenen Geldschleusen wie der deutsche Notenbankchef Jens Weidmann und der neue österreichische Gouverneur Robert Holzmann sollen ihre Skepsis deponiert haben. Aber: "Die Front der Falken war nicht groß genug", wie ein Insider die Situation der Vertreter einer strafferen Geldpolitik beschreibt. Auf eine Kampfabstimmung wurde offenbar verzichtet. Holzmann selbst war für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Er machte sich gleich nach der EZB-Sitzung auf den Weg nach Finnland, wo ab Freitag die Finanzminister und Notenbanker der Eurozone tagen.

Immerhin verhinderten die Falken einen von Draghi geforderten sofortigen Start der Anleihenkäufe, berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg. (Andreas Schnauder, 12.9.2019)