"Man sollte ein Etikett nicht so einfach austauschen wie seine Unterhose": Hajnal verteidigt die Marke KPÖ trotz historischer Altlasten.

Foto: Matthias Cremer

"Alternative Liste, KPÖ plus, Linke und Unabhängige": Der Pressesprecher hat üben müssen, um den langen Namen bei jedem Anruf fehlerfrei zu repetieren. Den Wählern ist dies eher nicht zumutbar, weshalb die am linken Rand des Politspektrums angesiedelte Wahlplattform als Kurzbezeichnung erst recht wieder auf die etablierte Marke KPÖ zurückgreift. Dabei ist Spitzenkandidat Ivo Hajnal nicht einmal Mitglied der Partei, sondern kommt aus der Alternativen Liste Innsbruck – und führt hauptsächlich von dort aus Wahlkampf.

STANDARD: Sie treten für die KPÖ an, da liegt die Frage nahe: Braucht Österreich eine Revolution?

Hajnal: Nein, Österreich braucht in dem Sinn keine Revolution, doch die Revolution wird Österreich aufgedrückt: Angesichts des Klimawandels ist es eine banale Beobachtung, dass wir unseren Lebensstil massiv ändern müssen. Und wenn selbst schon der Chef von JP Morgan Chase, der größten US-Bank, über das Ende des Kapitalismus diskutiert, brauchen wir in Österreich nicht so tun, als lebten wir auf der Insel der Seligen.

STANDARD: Also wird die alte kommunistische Theorie, dass sich der Kapitalismus selbst zerstören wird, doch recht behalten?

Hajnal: Ach, all diese Kategorisierungen wie Kommunismus und Kapitalismus sind in der politischen Alltagsarbeit nur bedingt tauglich. In Zeiten, wo so viel Wissen offen verfügbar ist wie noch nie, geht es vielmehr um das Lernen aus Erfahrungen.

STANDARD: Als Mykenologe beschäftigen Sie sich ja mit längst untergegangenen Kulturen. Kann man da etwas für heute lernen?

Hajnal: Durchaus. Der Untergang des mykenischen Reiches und des Hethiterreiches, der am Ende der Bronzezeit um 1200 vor Christus in die sogenannten dunklen Jahrhunderte mündete, weist durchaus Parallelen zur heutigen Zeit auf. Man ist sich heute relativ sicher, dass damals Umwelt- und Ernährungskrisen eine Rolle gespielt haben.

STANDARD: Etwas Endzeitstimmung verbreitet auch Ihr Wahlprogramm. Von "amerikanischen Verhältnissen" ist da die Rede: "Ein Job reicht trotz Zwölfstundentags oft nicht mehr zum Leben." Ist das nicht maßlos übertrieben?

Hajnal: Da widerspreche ich massiv. Längst ist Obdachlosigkeit nicht mehr ausschließlich ein Phänomen der Berufslosen – doch während in Deutschland längst darüber diskutiert wird, wird es in Österreich als sittenwidrig angesehen, dies anzusprechen. Dass es heute Billigjobs gibt, von denen die Menschen schwer leben können, lässt sich nicht bestreiten. Oder haben Sie noch nie etwas von Working Poor gehört?

STANDARD: Doch, es handelt sich dabei um etwa zehn Prozent der Erwerbstätigen. Aber die arbeiten eher nicht zwölf Stunden am Tag, wie das KPÖ-Programm suggeriert. Das mittlere Einkommen eines Vollzeitbeschäftigten beträgt 2.965 Euro brutto im Monat. Ich behaupte: Davon kann man leben.

Hajnal: Wenn Ihre durchschnittlichen Wohnkosten 42 Prozent des Nettoeinkommens betragen wie in Tirol, dann tun Sie sich auch damit allmählich schwer. Vor allem dann, wenn nicht beide Elternteile in einer Familie arbeiten oder arbeiten können.

STANDARD: Niemand bestreitet, dass es hierzulande Armut gibt. Doch Daten zeigen auch, dass die verfügbaren Haushaltseinkommen trotz der großen Wirtschaftskrise in den Jahren nach 2008 sogar gestiegen sind. Der Sozialstaat funktioniert also, amerikanische Verhältnisse sind nicht zu erkennen.

Hajnal: Der Sozialstaat funktioniert jetzt noch, weil er von Errungenschaften zehrt, die Österreich einmal zu einer der führenden Nationen gemacht haben. Aber wenn Sie die Programme von ÖVP oder Neos lesen, dann soll genau dort gekappt werden: von den Studienbeiträgen über das Gesundheitssystem bis zu den Pensionen, wo die Verantwortung dem einzelnen Menschen aufgebürdet wird. Wenn da ein kommunistischer Begriff passt, dann dieser: Der Klassenkampf wird heute von oben nach unten geführt. Da drohen tatsächlich amerikanische oder, noch treffender, deutsche Verhältnisse mit immer mehr Billigjobs. Genau dagegen kämpfen wir an.

STANDARD: Neben einer Vermögens- und Erbschaftssteuer fordern Sie auch eine Arbeitszeitverkürzung auf eine 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Ein schöner Gedanke, finde ich als Arbeitnehmer – aber ist die Idee nicht leider auch unrealistisch?

Hajnal: Nein. Wir entwerfen keine Utopien, für einen Visionär bin ich zu trocken. Der Lohnzuwachs hält schon lange nicht mehr mit der gestiegenen Produktivität mit. Wenn die Digitalisierung dann noch 14 Prozent der Jobs killt, die Produktivität also noch einmal um diese Prozentsatz steigt, dann muss dieser Zuwachs gerechterweise an die Arbeitnehmer zurückgegeben werden müssen. Das ist überhaupt keine Science-Fiction, sondern die Realität einer gesunden Volkswirtschaft.

STANDARD: Österreich ist wirtschaftlich aber nun einmal eng mit Deutschland verbunden. Wenn das große Nachbarland bei dieser abrupten Arbeitszeitverkürzung nicht mitmacht, droht uns ein Wettbewerbsnachteil.

Hajnal: Das bestreite ich. Wissen Sie, wie viel die Leute bei Porsche am Fließband arbeiten? 35 Stunden pro Woche, da sind wir von unserem Ziel nicht so weit weg. Außerdem sollten wir uns nicht an Deutschland anlehnen, das mit seiner Lohndumpingpolitik die Krise in der EU mitverursacht hat.

STANDARD: Sie fordern, dass Politikergehälter auf 2.300 Euro im Monat beschränkt werden. Aus linker Sicht könnte man dieses Gehalt für den Knochenjob eines Spitzenpolitikers glatt für Ausbeutung halten. Würden sich da außer den KPÖ-Kandidaten genügend qualifizierte Leute für Ministerämter finden?

Hajnal: Dieses Argument höre ich mantramäßig immer, wenn es um Gagenbegrenzung geht – etwa wenn ein Manager nicht mehr seine 1,5 Millionen pro Jahr verdienen darf. Klar wiegt eine solche Begrenzung schwerer, etwa wenn ein Politiker Kinder hat – aber die KPÖ-Kolleginnen und -Kollegen in Graz zeigen vor, dass es geht. Es braucht einfach dieses Zeichen. Die Politikergehälter haben sich zu weit vom Durchschnittseinkommen entfernt und sind für das, was wir Bürgerinnen und Bürger zurückerhalten, viel zu hoch.

STANDARD: Falls Sie gewählt werden: Werden Sie sich nicht auch schwertun im teuren Innsbruck?

Hajnal: Ich habe das Glück, dass ich nicht diese verrückten Mieten zahlen muss, weil ich vor langer Zeit noch zu einem guten Preis eine Wohnung kaufen konnte. Doch letztlich geht es vor allem in meinem Alter weniger ums Geld als um den Fußabdruck, den man hinterlässt – und auch um die eigene Verantwortung: Wenn auf einer Burschenschafterbude auf die siebte Million angetrunken wird, dann ist der Punkt erreicht, wo ich mich engagieren muss. Wenn Sie aus einem familiären Umfeld wie dem meinigen kommen, beschäftigt Sie immer wieder, wie es zu der Situation von 1938 und den Zeiten danach kommen konnte. Ich habe mir geschworen, dass ich entsprechende Zeichen nicht übersehen will.

STANDARD: Welches familiäre Umfeld sprechen Sie an?

Hajnal: Als Juden mussten meine Großeltern 1938 aus Wien flüchten, erst nach Opatija im heutigen Kroatien, dann über Umwege in die Schweiz. Während mein Vater Österreich die Vertreibung nie verziehen hat, konnten meine Großeltern, wie viele andere Exiljuden auch, Wien und Österreich nie aus ihrem Kopf bekommen – die lasen in der Schweiz "Kurier", "Krone" und "Presse", fuhren mit mir in den Sommerferien regelmäßig nach Tirol und auf den Semmering. Irgendwann kam der Punkt zu entscheiden, wo ich mich für den Rest meines Lebens niederlasse. In Deutschland hatte ich einen tollen Job, war Ordinarius an der Uni von Münster, genoss viel Prestige – doch zu Österreich besaß ich eben diesen emotionalen Bezug, auch wenn der nicht ausschließlich positiv war.

STANDARD: Warum verwendet ein vielfältiges Linksbündnis als Kurzbezeichnung erst recht wieder den Namen KPÖ? Diese Marke klingt außerhalb von Graz, wo die Partei in der Kommunalpolitik erfolgreich ist, in vielen Ohren nach muffigem und autoritärem Realsozialismus.

Hajnal: Die KPÖ hat 2.000 Menschen im Kampf gegen den Nationalsozialismus und Francos Faschisten verloren. Finden Sie das muffig? Ich nicht.

STANDARD: Ich auch nicht. Aber nach dem Zweiten Weltkrieg stand die KPÖ nun einmal auch lange treu zum Stalinismus und zur Sowjetunion. Ist es nicht verständlich, dass der Name KPÖ viele Wähler deshalb a priori abschreckt?

Hajnal: Gemäß dieser Logik müssten die katholischen Kirchen nach den Missbrauchsvorfällen leer sein – und wir beurteilen die anderen Parteien heute ja auch nicht nach den Menschen mit NS-Hintergrund, die dort nach dem Krieg integriert wurden. Um eines klar zu sagen: Kein einziges politisches Opfer in den sozialistischen Staaten ist zu entschuldigen. Doch die KPÖ hat ihre Geschichte aufgearbeitet, und niemand dort hat irgendwem Unrecht getan. Was den Namen betrifft: Man sollte ein Etikett nicht so einfach austauschen wie seine Unterhose, da bin ich ein bissl konservativ. Außerdem konnten wir uns im Bündnis auf die Schnelle nicht 100.000 Euro für eine Brandingagentur leisten, um einen neuen, coolen Namen zu etablieren. Und hätten wir uns von der Alternativen Liste vorgedrängt, wäre der Name auf ALKPÖ hinausgelaufen. Der Bierpartei wollen wir aber nicht Konkurrenz machen. (Gerald John, 15.9.2017)