"In einem modernen Großbritannien des Jahres 2019, einer parlamentarischen Demokratie können wir als Abgeordnete nicht ernsthaft eine Debatte darüber anfangen, ob die Einhaltung der Gesetze notwendig ist oder nicht", sagte John Bercow über die im Raum stehende Möglichkeit, dass sich der amtierende Premier nicht an ein beschlossenes Gesetz hält.

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London – Mit den Worten "Lassen Sie mich das hier glasklar sagen" leitete John Bercow, Noch-Speaker des derzeit im Zwangsurlaub befindlichen britischen Unterhauses, seine unmissverständliche Vorstellung zum Brexit ein: "Der einzige Brexit, den wir, wann auch immer, haben werden, wird ein Brexit sein, den das House of Commons abgesegnet hat." Und gegen einen Austritt ohne Abkommen hatte sich das Parlament bekanntlich mehrfach ausgesprochen.

Diese Woche trat ein Gesetz in Kraft, das vorsieht, dass der Premier bei der EU um eine Verlängerung der Brexit-Frist bis Ende Jänner ansuchen muss, wenn es bis 19. Oktober im Parlament keine Mehrheit für einen Deal oder einen No-Deal-Brexit gibt. Premier Boris Johnson kündigte allerdings bereits an, er läge "lieber tot im Graben", als in Brüssel um Aufschub zu bitten.

"Kreativität in den Abläufen"

"In einem modernen Großbritannien des Jahres 2019, einer parlamentarischen Demokratie," sagte Bercow in einer ungewöhnlich offenen Rede für einen Speaker dazu, "können wir als Abgeordnete nicht ernsthaft eine Debatte darüber anfangen, ob die Einhaltung der Gesetze notwendig ist oder nicht." Das wäre "das fürchterlichste Vorbild, das man für den Rest der Gesellschaft abgeben könnte". Sollte die Regierung dem Gesetzesbruch nahekommen, werde das Parlament "diese Möglichkeit verhindern wollen". Er kündigte an, deshalb "zusätzliche Kreativität in den Abläufen" durchaus zuzulassen.

Die Möglichkeiten des Parlaments sind allerdings beschränkt, vor allem weil es von der Regierung bis 14. Oktober – und damit in der entscheidenden Phase kurz vor dem Brexit-Termin am 31. Oktober – in Zwangspause geschickt wurde.

Taktische Pause

Der Premier hatte diese mit der Vorbereitung auf eine neue Regierungserklärung Mitte Oktober sowie mit den ohnehin geplanten Ferien während der Parteitage von Liberaldemokraten, Labour und Konservativen begründet. Viele britische Abgeordnete gehen allerdings davon aus, dass Johnson die Pause taktisch eingesetzt hat, um die Handlungsfähigkeit des Parlaments einzuschränken.

Eine überparteiliche Allianz unter Führung des Liberalkonservativen Dominic Grieve versuchte am Montag Beweise für die Vermutung zu erhalten, dass Johnson in Wahrheit das Parlament von der Brexit-Debatte ausschließen wollte, und verlangte die Offenlegung von Kommunikation zu dem Thema. Trotz eines dahingehenden Parlamentsbeschlusses weigert sich die Regierung aber, diese zu veröffentlichen.

Bercow hat bei der der letzten Parlamentssitzung vor der Zwangspause seinen Rücktritt angekündigt, er will spätestens am 31. Oktober sein Amt niederlegen. Eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger soll am 4. November gewählt werden. (maa, 13.9.2019)