Die Musiktheatertage finden heuer im WUK statt, u. a. mit Brigitte Wilfing. Stile, Sounds und Zeiten wirbeln durcheinander.

Foto: Ulli Koch

Wien – Die Wiener Musiktheatertage sind in ihrer fünften Ausgabe erstmals im WUK beheimatet: You're at home, baby. Das in diesem Jahr von Georg Steker kuratierte Festival für zeitgenössisches Musiktheater erklärt die Zivilisation, laut Duden die "Gesamtheit der durch den Fortschritt der Wissenschaft und Technik geschaffenen (verbesserten) materiellen und sozialen Lebensbedingungen", in ihrem Zentralthema zum "Mythos".

Man hegt Zweifel am Beitrag der Zivilisation zum Wohle der (gesamten) Menschheit. Sollte "alles nur eine groß angelegte Täuschung" sein? Sollte die Zivilisation nur als eine Art Feigenblatt dienen, um "Unrecht, Ausbeutung und Ungleichheit" zu kaschieren?

Zuerst widmet sich die Opera of Time von Jorge Sánchez-Chiong (Klangarchitektur und Komposition) und Thomas J. Jelinek (Installation, Bühne, Regie) jedoch einem Phänomen, das die Zivilisation umhüllt und wohl auch überdauert: der Zeit. Der Untertitel A wild Party – oder der Ball der Zeit lässt ahnen, dass das Setting dieser 90-minütigen Eröffnungsproduktion keine Sitzgelegenheiten, dafür aber Alkohol beinhalten wird: Bingo! Bei Bier und Wein zum Bessergestelltentarif konsumieren sich die revolutionären Sprüche auf den Bannern gleich viel besser. Cheers den "Zornsammelbanken" (© by Peter Sloterdijk) dieser Welt!

Fernöstliche Nina Hagen

Eine Moderatorin begrüßt Gäste: So präsentierten etwa Max Hoffmann und Karl Bruckschwaiger als eine Art Science Busters der Musiktheateravantgarde witzige Wissenspartikel zum Themenfeld des Abends. Die Sängerin Bibiana Nwobilo beeindruckt, begleitet vom famosen Alfredo Ovalles, durch vokale Exzellenz; ihre eindimensional krawallige Kollegin Kaoko Amano erinnert nur an eine fernöstliche Billigkopie der großen Nina Hagen.

Noch weiter abwärts geht es mit der Performance von Brigitte Wilfing – und das, obwohl die streng Farbenfrohe ihre Performance auf der Bar beginnt. Eine nachlässig frisierte Tochter der Schweizer Wunderheilerin Uriella ergeht sich mittig in langsamen Bewegungsmustern. Die meisten Abläufe dieses Musiktheaterwerks sind strukturiert von Rissen, genauer: Rückwärtssprüngen im Zeitkontinuum, die durch den Klang eines zu Scherben zerbrechenden Glases ausgelöst werden.

Am Schluss wird die Musik (aus dem Rechner) mächtig und groß, wirbelt Stile, Sounds und Zeiten durcheinander. Ein Barkeeper im weißen Sakko singt etwas David-Lynch-artig Trauriges und lässt ein Glas fallen. Time over. (Stefan Ender, 13.9.2019)