In Wien sind rund 30 Prozent der (theoretisch wahlberechtigten) Wohnbevölkerung eben nicht wahlberechtigt, in ganz Österreich rund 15 Prozent.

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Die Migranten seien "das neue Proletariat", sagte Michael Häupl kürzlich in einem Zeitungsinterview zu seinem 70. Geburtstag. Da ist was dran, nur: Die neuen Proletarier dürfen zu einem beträchtlichen Teil nicht wählen. Sie sind keine Staatsbürger.

Insgesamt gibt es laut einer Studie aus dem Jahr 2017 1,1 Millionen theoretisch, aber nicht gesetzlich wahlberechtigte Menschen in Österreich (bei 6,4 Millionen Wahlberechtigten insgesamt). In Wien sind rund 30 Prozent der (theoretisch wahlberechtigten) Wohnbevölkerung eben nicht wahlberechtigt, in ganz Österreich rund 15 Prozent.

Natürlich sind die nicht Wahlberechtigten nicht alle ein "Proletariat". Aber zu einem beträchtlichen Teil. Die Hälfte der Zuwanderer ohne österreichische Staatsbürgerschaft kommt ja aus der EU (derzeit 192.000 Deutsche, 112.000 Rumänen, 82.000 Ungarn, 80.000 Kroaten, 63.000 Polen). Dazu kommen 121.000 Serben, 117.000 Türken und 95.000 Bosnier.

Von den Osteuropäern, EU und Nicht-EU, sowie von den Türken sind die meisten wohl als Arbeiter, Handwerker, Kleinhändler etc. beschäftigt, also mehr oder weniger "Proletariat" (wobei natürlich nicht alle im wahlfähigen Alter sind, aber größenordnungsmäßig bekommt man einen Eindruck). Von den rund 50.000 Syrern und 44.000 Afghanen reden wir gar nicht.

Für die SPÖ ist das eine Ursache ihrer politischen Schwierigkeiten. Das alte Proletariat ist aufgestiegen, zu Kleinbürgern geworden und wählt FPÖ – unter anderem, weil sich die alten Proletarier von den am Arbeitsplatz und im Straßenbild auffälligen "neuen" Proletariern bedrängt fühlen. Zwar wählen die jüngeren Angehörigen der (enorm gewachsenen) Bildungsschicht vermehrt rot (oder grün), aber "Arbeiterpartei" ist die Sozialdemokratie so gut wie nicht mehr. Die Arbeiter sind zu einem beträchtlichen Teil Migranten, solche mit und solche ohne Staatsbürgerschaft. Häupl zieht daraus den Schluss: "Migration ist für Wien nichts Neues, gerade wenn man sich das 19., das 20. Jahrhundert ansieht. Wenn wir sagen: Diese Menschen sind das neue Proletariat, das sind unsere Leute, wir kümmern uns jetzt um sie."

Der Politikwissenschafter Gerd Valchars hat in der erwähnten Studie darauf hingewiesen, dass diese hohe Anzahl von nicht wahlberechtigter ständiger Wohnbevölkerung Zeichen einer "defizitären Demokratie" sei. Er schlägt verschiedene Maßnahmen vor: leichtere Einbürgerungen, Wahlrecht bei längerem festem Aufenthalt und erleichterte Doppelstaatsbürgerschaft.

Dazu die letzte größere Aussage zum Thema von Sebastian Kurz: "Durch Migration verändert sich ein Land, Österreich hat sich bereits massiv verändert." Es müsse seine Identität bewahren, ein wehrhafter Staat sein.

Solange die türkise ÖVP da etwas zu sagen hat (ganz zu schweigen von der FPÖ), wird sich da wohl nicht viel tun, wenn es darum geht, das "neue Proletariat" an der politischen Entscheidung teilhaben zu lassen. (Hans Rauscher, 14.9.2019)