Die Angestellten der Pariser Verkehrsbetriebe RATP streikten gegen die vorliegende Rentenreform.

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Für Arbeitspendler im Pariser Großraum war der "Freitag der 13." wirklich ein Unglückstag: Es war fast unmöglich, ins Büro oder die Fabrik zu gelangen. Viele der zehn Millionen Einwohner waren mit der Bahn, dem Bus oder ihrem Fahrzeug stundenlang unterwegs. Einzelne behalfen sich mit Autostopp und Mitfahrdiensten – um dann auch nur im Stau zu sitzen.

Auf den Einfallachsen in die französische Metropole wurden am Freitagmorgen 280 Kilometer lange Kolonnen gemessen. Innerhalb von Paris stand die Mehrheit der sechzehn U-Bahn-Linien ganz still. Bürger behalfen sich mit Rollern, Touristen mit langen Fußmärschen, die allerdings nichts mit dem Flanieren auf lauschigen Boulevards zu tun hatten. "La galère!", schimpften viele Passanten, was nicht bedeutete, dass in Paris selbst Galeeren als Fortbewegungsmittel benutzt worden wären – es handelt sich vielmehr um ein geflügeltes Wort für "Schinderei".

Macrons wichtigstes Sozialprojekt

Der Grund für das Transportchaos: Die Angestellten der Pariser Verkehrsbetriebe RATP streikten gegen die vorliegende Rentenreform. Emmanuel Macron will damit das wichtigste Sozialprojekt seiner bis 2022 laufenden Amtszeit umsetzen. Der Ruhestand der 65 Millionen Franzosen ist ab 2028 nicht mehr voll finanziert. "Wir müssen mehr arbeiten", bekräftigte Premierminister Edouard Philippe am Donnerstag. Das Rentenalter von derzeit 62 Jahren zu erhöhen, wagt Macron allerdings nicht. Dafür schraubt er an der Zahl der Beitragsjahre, die für eine Vollrente nötig werden. Dem Präsidenten schwebt ein Punktesystem vor, laut dem ein einbezahlter Euro später genau einen Euro an Pensionsgeld ergeben soll.

Sonderrechte abschaffen

Der massivste Streik seit über zehn Jahren in Paris war allerdings durch einen anderen, nicht minder gewichtigen Reformpunkt bedingt: Macron will die 42 Sonderstatute einzelner Berufe abschaffen. Die Angestellten der RATP gehen zum Beispiel heute mit durchschnittlich 55,7 Jahren in den Ruhestand, die Schaffner sogar schon ab 52 Jahren. Ihre Pensionen werden zudem großzügiger berechnet als im Privatsektor: Ausschlaggebend ist die Lohnhöhe der letzten sechs Arbeitsmonate, während im Privatsektor die letzten 25 Jahre berücksichtigt werden. Der Unterschied ist massiv. Die RATP-Renten sind mittlerweile so hoch, dass sie vom Privatsektor über den normalen Staatshaushalt mitfinanziert werden müssen.

Die U-Bahn-Gewerkschaften behaupten, ihre hohen Renten – im Schnitt über 3700 Euro brutto im Monat – seien eine Kompensation für die harte Arbeit mit Frühschichten und Feiertagsdiensten. Diese werden aber schon durch spezielle Prämien ausgeglichen. Premier Philippe hat zweifellos recht, wenn er die heutige Lage als "objektiv ungerecht" bezeichnet.

Der große Aufstand

Die Gewerkschaften halten dagegen, dass die Macron-Reform den Beziehern mehrere hundert Euro im Monat kosten könnten. Und das gelte nicht nicht nur die Beamten, sondern für alle Berufe. Deshalb wollen in den nächsten zehn Tagen zahlreiche andere Sparten in den Ausstand treten. Am Montag beginnen die Anwälte, dann folgen die Krankenschwestern, die Stromer und die Finanzbeamten.

Die Regierung versucht einen Schulterschluss aller potenziellen Gegner – das heißt einen Generalstreik – mit allen Mitteln zu verhindern, indem sie einzelnen Gewerkschaften Konzessionen macht. Indem Macron auf die Erhöhung des nominellen Rentenalters verzichtet, hält er die gemäßigte CFDT vorläufig im Reformlager.

Spaltungstaktik

Diese an sich geschickte Spaltungstaktik zeigt aber bisher wenig Früchte. Denn politisch leidet Macron weiterhin unter den Langzeitfolgen der Gelbwestenkrise. Seither lahmt der Elan des Reformers im Elysée-Palast. Jetzt rächt sich, dass er die schwierigste Reform nicht an den Beginn seiner Amtszeit gesetzt hatte. Nun muss er die Vorlage ständig aufschieben. Am Donnerstag ließ er über seinen Premier verkünden, das Parlament werde erst im Sommer 2020 über das neue Rentengesetz abstimmen.

Trotzdem mobilisieren die Gewerkschaften schon jetzt, da das Reformprojekt noch nicht einmal ausgearbeitet, geschweige denn publiziert ist. Den Ausstand von Freitag bezeichnen sie als "Warnung". Und sie ist sehr ernst gemeint. Alles deutet darauf hin, dass die Rentenreform auch für den Präsidenten zu einer ziemlichen "galère" wird. (brä, 13.9.2019)