Brad Pitt (55) zählt seit den frühen 90er-Jahren zu den großen Filmstars der Gegenwart. Seit 2002 produziert er auch Filme – wofür er auch seinen bisher einzigen Oscar ("12 Years a Slave") bekam.

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Brad Pitt kommt mit einem Glas Cola zum Interview, sein Mittel, den Jetlag zu bekämpfen. Auf dem Filmfestival von Venedig präsentierte er mit Regisseur James Gray das Weltraumdrama Ad Astra. Nach Quentin Tarantinos Once Upon a Time ... in Hollywood ist dies schon der zweite Film in diesem Jahr, in dem der US-Star mit einer konzentrierten Darstellung begeistert. Auch im Gespräch gibt sich Pitt ganz glaubwürdig so, als habe er sein inneres Gleichgewicht gefunden.

STANDARD: James Gray wollte "Ad Astra" weitgehend ohne Computeranimationen, unter realistischen Bedingungen drehen. Sie mussten also wirklich viel Zeit im Raumfahreranzug verbringen. Keine leichte Ausgangssituation, oder?

Pitt: Es war, als würde man einen Mistsack überziehen, über den man dann einen Snowmobil-Anzug trägt, und dann verdrahtet man das Ding und hängt es an der Decke auf. Die Herausforderung bestand darin, in dieser Lage seine Freiheit zu bewahren. Und emotional überzeugend zu bleiben. Aber das gehört zum Geschäft dazu: Bei Tarantino musste ich jeden Tag Narben auftragen. Schauspieler sind an Unannehmlichkeiten gewöhnt.

STANDARD: Am Anfang spricht Ihre Figur einmal davon, wie viel an ihrem Auftritt eine Art von Performance ist – Roy spielt eine Rolle, er ist in Wahrheit ein entfremdeter Held.

Pitt: Er redet da schon von der Performance im Leben an sich. Darüber, wie schwierig es ist, richtige Verbindungen zu anderen herzustellen. Er legt sich eine Fassade zurecht, während er seinen Weg aus dem Zimmer sucht. James Gray sprach in Bezug zu dem Film immer wieder über den Mythos des amerikanischen Helden. Das war allerdings etwas, was mir als Schauspieler gar nicht so bewusst war.

STANDARD: Sie meinen, diese Reflexion von Heroismus stellen Sie eher intuitiv her?

Pitt: Auf eine eher allgemeine Art... Der amerikanische Filmheld, dieser Clint-Eastwood-Charakter, ist ja nicht auslöschbar. Ich habe Butch und Sundance schon im Kindergarten-Alter gesehen – in einem Drive-In-Kino, das machte damals unglaublich Eindruck auf mich. Ich bin sicher, ich mache manchmal immer noch den Paul Newman oder das Redford-Ding...

20th Century Fox

STANDARD: Im Film wird dieses Konzept von Männlichkeit und des Vorwärtsdrängen in Unbekanntes ja hinterfragt.

Pitt: Ja, es ging uns um die Auseindersetzung mit der Frage, was es mit diesem Männlichsein auf sich hat. Ich bin ja selbst noch mit der Idee aufgewachsen, dass ein Mann zu sein bedeutet, keine Schwäche zu zeigen, sich als unverwundbar zu präsentieren. Das gefällt einem zu Beginn, denn man glaubt, ein paar Dinge durchschaut zu haben. Der Nachteil ist jedoch, dass wir einen anderen Teil von uns selbst negieren; die Fähigkeit, etwas zu bedauern, Trauer, das eigene Leiden zuzulassen. Im Nachhinein denke ich, dass Ad Astra dahingehend wichtige Fragen stellt. Kommt eine wahre Verbindung, richtiges Vertrauen erst daraus zustande, dass man allen diesen menschlichen Seiten gegenüber offen ist?

STANDARD: Das Verhältnis zum Vater, auf dessen Suche sich Roy begibt, hat auch mit dieser Unterdrückung von Gefühlen zu tun. Roy reist diesem Bild hinterher...

Pitt: Das hat eben mit dieser so erfolgreichen Idee vom Marlboro-Man zu tun. Der schweigsame Mann, dem am Ende alles gelingt. Unsere Eltern sind unsere Götter, unsere Führer, sie zeigen uns, wie man in der Welt sein soll. Jetzt, wenn ich älter werde, verstehe ich sie viel besser, ich kann mehr Empathie für sie empfinden. Man versteht auch das Missverständnis des Kindes, das man einmal war. Mein Vater kannte wirklich noch Armut und Not, er wollte seinen Kindern ein besseres Leben ermöglichen. Ich empfinde da ganz ähnlich, und bestimmte Themen dieses Films haben auch mit meinen Kindern zu tun.

STANDARD: Hat sich auch Ihre Sichtweise des Berufs mit der Zeit geändert?

Pitt: Man wird schon etwas weiser. Ich bin wirklich stolz darauf, nicht mehr so eilig mit meinen Reaktionen zu sein – ein bisschen so wie Cliff in Once Upon a Time ... in Hollywood. Man akzeptiert, was auch immer einen erwartet. Und man weiß, dass Gott, die Geister oder wie man das alles nun nennen will, nicht völlig gegen einen sind. Ich bin immer noch ein wenig das Kind, das in den Ozarks aufgewachsen ist. Ich saß in keinem Flugzeug, bis ich 23 Jahre alt war. Und ich lese so viel Philosophie wie möglich. Die Stoiker sind mein Ding.

STANDARD: Roy könnte man durchaus auch als stoischen Helden bezeichnen.

Pitt: Oh ja, Ad Astra verlangte mir richtig Innenschau ab, ich musste mir selbst gegenüber aufrichtig sein, sonst hätte das alles nichts bedeutet. Bei Tarantino befinden wir uns in seinem L. A., es ist ein Film über Filme und Fernsehen. Hier muss man sich auf mein Schweben, auf meine Sicht der Dinge einlassen. Auch wenn es immer noch genug Dramatik gibt.

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Schwerelos im Weltall und ziemlich allein: Brad Pitt muss sich in James Grays "Ad Astra" als Astronaut von der lang gehegten Idealisierung seines Vaters verabschieden.
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STANDARD: Man sieht Sie ja auch sehr oft in Close-Ups ... Ändert das viel?

Pitt: Das tut mir leid! Der Zugang ist nicht so viel anders. Schwieriger war es eher, weil es um Ängste geht, die nicht so leicht zugänglich sind. Man muss sich selbst manipulieren, um in diese Bereiche vorzudringen – das bereitet nicht immer Vergnügen.

STANDARD: Wenn man die beiden Rollen vergleichen will, könnte man sagen, beide haben gesunden Menschenverstand.

Pitt: Ich sehe auch Parallelen. Roy stellt sich existenzielle Fragen. Das Leben ist ein ziemliches Schlamassel. Wir müssen zu einem gewissen Grad alle seine Erfahrungen machen, uns mit dieser dunklen Seite konfrontieren. Und ich weiß, das sagt jetzt gerade der Typ, der in der Lotterie gewonnen hat. Doch erst wenn man das kennt, kann man an einen Ort gelangen, wo Cliff aus Once Upon a Time ... angekommen ist, wo alles mit Leichtigkeit geht. Ich würde es Vernunft nennen, was die beiden verbindet: Vernunft gegenüber den anderen, die zu Vernunft gegenüber sich selbst führt.

STANDARD: Sie gelten bereits als Oscarkandidat. Ist Ihnen das überhaupt wichtig?

Pitt: Mir geht es vor allem darum, dass der Film jemand anderem etwas bedeutet. Das Ziel ist, an einer Geschichte beteiligt zu sein, die auch in zehn, zwanzig Jahren noch etwas zu sagen hat. Und der Planet muss dazu noch die Voraussetzung liefern. Die Preise sind nett, aber sie sind ein Nebenprodukt. Wenn deine Nummer gewinnt: super. Wenn es jemand anderer ist: super.

STANDARD: Nehmen Sie deshalb auch verstärkt Produktionsagenden wahr?

Pitt: Da geht es um Qualität. In dem Sinn, wie die Geschichten erzählen werden. Filme sind so teuer geworden, dass viele Studios mittlerweile Risiken scheuen. Herausforderndes wird stets als Erstes vernachlässigt. Doch genau das liegt den meisten Filmemachern am Herzen. Ich habe das Glück, ein bisschen Geld und Nachdruck in "andere" Geschichten investieren zu können. (Dominik Kamalzadeh, 13.9.2019)