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Populär trotz Haft: Nabil Karoui.

Foto: REUTERS/Zoubeir Souissi/File Photo

Seit Wochen ist Tunesien im Wahlkampfmodus, denn am Sonntag steht die erste Runde der richtungsweisenden Präsidentschaftswahlen an. Das Land ist gepflastert mit Wahlplakaten, soziale Netzwerke werden geflutet mit Wahlkampfwerbung. Die Kandidaten touren derweil unaufhörlich durchs Land, halten Ansprachen und machen teils unhaltbare Wahlversprechen.

Der Ausgang ist dabei völlig offen. Neben Abdelfattah Mourou von der gemäßigt islamistischen Ennahda-Partei werden auch Premierminister Youssef Chahed und dem umstrittenen Mehrheitseigner des beliebten Fernsehkanals Nessma TV, Nabil Karoui, Chancen auf den Einzug in die Stichwahl eingeräumt. Vor allem Karoui sorgte im Wahlkampf für einen nicht enden wollenden Wirbel: Denn der Medienmogul sitzt seit August auf Grundlage einer Anklage wegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche hinter Gittern. Mit seiner Anti-Establishment-Rhetorik inszeniert er sich als Outsider und Anwalt der verarmten Massen. Da er nicht rechtskräftig verurteilt ist, darf er trotz der Anklage kandidieren und dürfte – sollte ihm tatsächlich der Einzug in den Präsidentenpalast gelingen – von der mit dem prestigeträchtigen Amt einhergehenden Immunität profitieren.

Akzente setzte er im Wahlkampf allemal – und das nicht nur wegen seiner Verhaftung. Wie kaum ein anderer präsentiert er sich geschickt als volksnah. Selbst auf Plakaten sticht er heraus.

Im Gegensatz zu seinen Konkurrenten, die zumeist emotionslos oder steril wirken, nimmt Karoui auf farbenfrohen Bildern ein Bad in der Menge oder unterhält sich mit der einfachen Bevölkerung auf dem Land. Nicht umsonst gilt er als Topfavorit auf den Einzug in die Stichwahl, die Mitte Oktober stattfinden soll.

Wahlbeteiligung entscheidend

Entscheidend für den Ausgang der Abstimmung dürfte die Wahlbeteiligung sein. Zwar haben sich allein 2019 mehr als 1,5 Millionen Menschen zusätzlich in die Wählerregister eintragen lassen, doch bei der Kommunalwahl 2018 lag die Quote bei nur 34 Prozent. Vor allem in den strukturell vernachlässigten, küstenfernen Regionen ist man zunehmend frustriert von der politischen Klasse Tunesiens, die jahrelang nicht fähig war, spürbare soziale und wirtschaftliche Verbesserungen anzustoßen.

Die TV-Debatten vom vergangenen Wochenende, an denen 24 der insgesamt 26 Kandidaten teilnahmen, wurden dennoch mit großem Interesse verfolgt. Auf der Straße wurde tagelang kaum ein Thema heißer diskutiert. Das Format wurde zwar für seine Unzulänglichkeiten auch heftig kritisiert, die Debatten boten jedoch aufschlussreiche Einblicke in die Programme der Kandidaten. War der Wahlkampf 2014 noch von Streitereien zwischen Islamisten und Säkularen über die Rolle der Religion in Tunesiens Politik geprägt, ging es 2019 vor allem um die soziale und wirtschaftliche Misere und die florierende Korruption – und wie man dagegen vorgehen könnte. Auch der Krieg in Libyen, das Terrorismuspro blem in Südtunesien und die irreguläre Migration tunesischer Jugendlicher nach Europa zählten zu den dominierenden Themen.

Ob aber ein neuer Präsident in diesen Fragen Abhilfe schaffen kann, ist zweifelhaft, beschränken sich dessen Kompetenzen doch auf Außen- und Sicherheitspolitik. Der Wahlgang ist dennoch ein wichtiger Stimmungstest, denn im Oktober stehen die machtpolitisch deutlich wichtigeren Parlamentswahlen an. (Sofian Philipp Naceur, 15.9.2019)