Europas Politik muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie die Notenbank alleingelassen hat.

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Widerstand war zwecklos. Obwohl sich gewichtige Vertreter im Rat der Europäischen Zentralbank gegen den von Mario Draghi forcierten Kurs der lockeren Geldpolitik stemmten, fährt die Notenbank wieder schweres Geschütz im Kampf gegen die zu niedrige Inflation auf: Nicht nur verharrt der Leitzins bei null, die Strafzinsen für Banken rutschen weiter in den negativen Bereich, und die umstrittenen Anleihenkäufe werden wieder hochgefahren. Die Spaltung innerhalb der EZB ist weniger Ausdruck der strategischen Meinungsverschiedenheiten darüber, wie man das gemeinsame Ziel der Preisstabilität am effektivesten erreicht, als ein verzweifelter Schrei nach Hilfe.

Denn die Kritiker in Form der ehemaligen Hartwährungsländer – Deutschland, Niederlande und Österreich – sagen im Wesentlichen: Wir haben unser Pulver verschossen, und es hat nichts gebracht. Wenn wir weiterballern, treffen wir die Falschen (Sparer) und leisten den Falschen Schützenhilfe (Spekulanten).

Die Befürworter der jüngsten Entscheidung, darunter federführend eine südliche Allianz – Italien, Spanien, Portugal -, setzten alles auf eine letzte große Offensive, um vielleicht doch noch einen Teilsieg zu erringen, indem die Konjunktur angekurbelt wird. Außerdem schätzen sie die Folgen eines Rückzugs schlimmer ein als den Kollateralschaden ihrer Maßnahmen. Beiden geht es aber nur um Schadensbegrenzung.

Von den Euro-Zone-Ländern im Stich gelassen

Untergegangen in dem schon länger schwelenden Disput der Währungshüter ist die Tatsache, dass sich beide Blöcke in einem einig sind: Die Zentralbank wird von den Ländern der Eurozone im Stich gelassen. "Es ist höchste Zeit, dass die Fiskalpolitik Verantwortung übernimmt", sagte EZB-Präsident Draghi in ungewohnt klaren Worten nach der Bekanntgabe der jüngsten Zinssitzung. Damit meint er nicht seine Landsleute in Rom, sondern "Länder mit Spielraum" – also im Wesentlichen Deutschland. Die Bundesrepublik sitzt auf Milliardenüberschüssen, die aus Sicht der Zentralbank besser dazu geeignet wären, den Konsum und somit die Preise anzutreiben. Indirekt richtet sich die Kritik Frankfurts an Brüssel, wo die Fiskalregeln geschrieben werden, die zu Sparsamkeit und Schuldenabbau mahnen.

Wie auch immer man zu Budgetdisziplin steht: Europas Politik muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie die Notenbank alleingelassen hat. Solange die EZB ein Mandat verfolgen muss, das nicht von der Fiskalpolitik innerhalb der Währungsunion mitgetragen wird, steht die Geldpolitik vor einer unmöglichen Mission.

Europas Politiker sind es den Notenbankern schuldig, ihren Hilferuf zu hören. Die EZB braucht eine Aufgabe, die sie nicht zerreißt. Entweder ringen sich die Regierungen der Eurozone dazu durch, mit einem gemeinsamen Budget die Geldpolitik zu flankieren, oder man spaltet die Eurozone in zwei Teile. So weiterzumachen ist keine Option. (Leopold Stefan, 14.9.2019)