Höhere Strafen bei Gewaltdelikten, würden nicht den gewünschten Effekt bringen, sagen Experten.

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Wien – ÖVP und FPÖ wollen ihr in Koalitionszeiten vereinbartes "Gewaltschutzpaket" noch vor der Nationalratswahl im Parlament beschließen. Bei Richtern, Rechtsanwälten, Opferschützern und dem Verein Neustart stößt dies auf Widerstand. Der vorliegende Entwurf beinhalte Verschlechterungen für Opfer und die öffentliche Sicherheit, heißt es in einem gemeinsamen Papier.

Mit der nun per Initiativantrag eingebrachten Gesetzesnovelle soll es zu Strafverschärfungen bei einer Reihe von Gewalt- und Sexualdelikten kommen. Doch dafür bestehe objektiv kein präventiver Bedarf, heißt es in dem an die Fraktionen versandten Papier von Richtervereinigung, Rechtsanwaltskammer, Neustart, Weißer Ring und dem Bundesverband der Gewaltschutzzentren und Interventionsstellen.

Kritik an Strafverschärfungen

Bei Sexualdelikten seien alleine in den vergangenen zehn Jahren fünf Novellen beschlossen worden, in denen Straftatbestände ausgeweitet und Strafdrohungen erhöht worden seien. Den Strafrahmen bei Sexualdelikten weiter zu erhöhen, würde nicht den gewünschten Effekt bringen, erklärte die Rechtswissenschafterin Katharina Beclin vom Wiener Juridicum bereits im Februar, als die ersten Pläne der damaligen Regierung öffentlich wurden. Im Gegenteil: "Betroffene suchen meist Abhilfe oder Schutz und wollen nicht eine möglichst hohe Bestrafung des Vaters, Bruders oder Lebensgefährten", erklärte Beclin damals im Gespräch mit dem STANDARD. In Partnerschaften erhöhe sich der Druck auf Opfer, keine Anzeige zu erstatten, heißt es auch in dem am Sonntag veröffentlichten Papier.

Die Kriminalstatistik 2017 zeigt, dass in nur 11,4 Prozent der Anzeigen wegen Vergewaltigung es keine Beziehung zwischen Täter und Opfer gab. Bei 12,2 Prozent waren die Täter "Zufallsbekanntschaften". In allen anderen Fällen waren sie Verwandte oder Bekannte.

Frauenhäuser-Chefin: "Strafmaß ist ausreichend"

Ähnlicher Meinung ist Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser. "Das jetzige Strafausmaß ist ausreichend", sagte sie im Februar dem STANDARD, eine Strafverschärfung habe man in der Taskforce nie gefordert.

Die Praxis zeige, dass der schonendere Umgang der Gerichte mit jüngeren Erwachsenen zum Rückgang von Widerverurteilungen geführt habe. Nun sollen aber härtere Strafen vorgegeben werden, wodurch mit einer höheren Rückfallquote zu rechnen sei. "Mehr Rückfälle bedeuten mehr Opfer, weniger Sicherheit und weiter steigende Kosten", warnen die Organisationen in ihrem Brief.

Stellungnahmen nicht berücksichtigt

"Wir warnen davor, dieses Gesetzespaket ohne Berücksichtigung der 60 fundierten Stellungnahme aus dem Begutachtungsverfahren und ohne vorherige Beratungen im Justizausschuss zu beschließen", sprach sich Rechtsanwälte-Präsident Rupert Wollf gegen einen "massiven, gefährlichen Rückschritt in vergangene Zeiten" aus. Auch die Experten der entsprechenden Task Force hätten sich klar dagegen ausgesprochen, und selbst Justizminister Clemens Jabloner habe es abgelehnt, diesen Gesetzesentwurf dem Parlament vorzulegen.

Sabine Matejka, Chefin der Richtervereinigung, sieht das ähnlich. Das parlamentarische Begutachtungsverfahren werde zur vollkommenen Farce, wenn der ursprüngliche Begutachtungsentwurf jetzt ohne Änderung beschlossen werde, sagte sie zur APA. Für die Verschärfungen gebe es keine sachliche Begründung, sie dürften nur "Ausdruck einer gewissen Law-and-Order-Politik" sein.

Anzeigepflicht für Gesundheitsberufe

Neben den Strafverschärfungen bringt das Gesetz auch einheitliche Anzeigepflichten für alle Gesundheitsberufe und eine verpflichtende Täterberatung bei häuslicher Gewalt. Der Verband der Gewaltschutzzentren übt auch hier Kritik: Die dafür zuständigen Stellen sollen den irreführenden Namen "Gewaltpräventionszentren" bekommen, was für Verwechslungen von Opfer- und Tätereinrichtungen führen könnte. Der Verband wäre für "GefährderInnenberatungsstelle" oder "Beratungsstelle für Menschen mit Betretungsverbot". (APA, red, 15.9.2019)