Es ist eine ungewöhnliche Wandergruppe, die man im Sommer in den Alpen des Salzkammerguts beobachten kann. Alle paar Meter bleibt einer stehen, beugt sich zu Boden, fühlt, riecht, schmeckt an einer Pflanze am Wegesrand und nimmt sie mit. Es sind Ärztinnen, Pharmazeutinnen und Studierende auf der Suche nach heimischen Arzneipflanzen. Der Weg ist das Ziel, nicht das Gipfelkreuz. Wird das Gewächs für interessant erachtet, reichen es die Wanderer nach vorn zum Gruppenleiter und bitten ihn, die Pflanze zu bestimmen.

Synthetisch hergestellte Abwandlungen der Tollkirsche (hier in unreifem Zustand) werden noch heute eingesetzt.
Foto: Nikolai Atefie

Johannes Saukel, Professor für Pharmakognosie an der Uni Wien und seit einem Jahr im Ruhestand, hält die knapp einen Meter hohe Pflanze mit dicker Sprossachse und schwarz glänzenden Beerenfrüchten in die Luft und fragt: "Was haben wir da?" Die Wanderer sind sich einig, es ist eine Tollkirsche (Atropa belladonna).

Die Pflanze ist in Österreich weit verbreitet und zählt zu den Nachtschattengewächsen. Damit ist sie verwandt mit Erdapfel, Paradeiser und Paprika. Das enthaltene Tropanalkaloid Atropin ist unter anderem verantwortlich für die Giftigkeit der Pflanze, deren Genuss sogar zum Tod führen kann. Gleichzeitig war Atropin, korrekt dosiert, in den Anfängen der Augenheilkunde ein wichtiger Arzneistoff. Synthetisch hergestellte Abwandlungen werden noch heute als Therapeutika eingesetzt.

Mehr als 3000 heimische Arten

Die Exkursion der Uni Wien gilt unter an Phytotheraphie, also Pflanzenheilkunde, Interessierten als Fixtermin. Einige Teilnehmer sind schon seit mehr als drei Jahrzehnten jährlich dabei und haben dabei viele der rund 3.300 heimischen Arten kennengelernt.

Gruppenleiter Saukel ist für seine jahrzehntelange Forschung an Schafgarben bekannt, zwei Arten konnten er und sein Team als Erste identifizieren, sie tragen deshalb seinen Namen. Auf der Wanderung findet die Gruppe sieben unterschiedliche Arten, die Unterscheidung sei für Laien aber oft "nicht zumutbar", so Saukel.

Sie haben allesamt eine entzündungshemmende Wirkung, sind krampflösend, antibakteriell und wirken beruhigend auf Magen und Darm. Die bekannte Gemeine Schafgarbe (Achillea millefolium) ist anspruchslos und wächst von den Niederungen bis in die Alpen auf Wiesen und an Wegrändern. Wegen ihrer charakteristischen weißen oder rosafarbenen Trugdolden und Fiederblättchen ist sie leicht zu erkennen. Die Pflanze eignet sich gut für alle, die sich Kräuter für einen magenberuhigenden Tee sammeln möchten, vorausgesetzt man kann die Pflanze sicher bestimmen.

Vergessene Heilpflanzen

"Es ist faszinierend, an wie vielen Medizinalpflanzen man im Laufe einer Wanderung vorbeispaziert, wenn man sie nicht kennt oder darauf achtet", sagt eine Teilnehmerin beim Aufstieg zum malerischen Langbathsee, als die Gruppe wieder stehen bleibt. Saukel deutet auf ein unscheinbares Gewächs mit gesägten Blättern am Wegesrand.

"Der Wurzelstock der Knotigen Braunwurz (Scrophularia nodosa, Anm.) wurde früher bei eitrigen Schwellungen an den Halslymphknoten und im Gesicht, damals als Skrofulose bezeichnet, eingesetzt." Heute ist die Pflanze trotz ihrer stark entzündungshemmenden und antibakteriellen Eigenschaft in Vergessenheit geraten. "Einerseits weil das Krankheitsbild fast ausgerottet ist und es starke Synthetika dagegen gibt, andererseits weil sich bisher niemand der Pflanze ausführlich angenommen hat und sie daher nicht im Arzneibuch aufgenommen ist", so Pharmazeutin Sabine Glasl-Tazreiter, Professorin an der Universität Wien, die gemeinsam mit Johannes Saukel und dem Biologen David Prehsler die Wanderung organisiert.

Doch die Forschung an Heilpflanzen ist aufwendig und teuer, sagen Experten.
Foto: Nikolai Atefie

Überhaupt sei die Forschung an Heilpflanzen aufwendig und teuer, so Glasl-Tazreiter: "Sie haben hunderte verschiedene Inhaltsstoffe. Meist sind es mehrere chemische Verbindungen, die in Kombination eine Wirkung haben. Das macht es schwer und langwierig, die wirksamen Substanzen zu bestimmen." Ein typisches Beispiel ist das leuchtend gelb blühende Gewöhnliche Johanniskraut, das bei leichten bis mittleren Depressionen eingesetzt wird. Die Wirkung ist wissenschaftlich unbestritten, nur ist es bisher nicht geglückt, einen einzelnen Stoff zu isolieren, der gleich gut wie ein Gesamtextrakt aus den oberirdischen Teilen der Pflanze wirkt.

Gegen Heuschnupfen und Migräne

Ein anderes, oft bewundertes, aber wenig bekanntes Gewächs, ist die gewöhnliche Pestwurz (Petasites hybridus). Ihre dunkelgrünen, runden Blätter werden nicht selten einen halben Meter groß und wachsen auf feuchten Böden. In der Schweiz ist ein Extrakt aus den Blättern gegen allergischen Heuschnupfen zugelassen. Eine Zubereitung aus den unterirdischen Organen wird zur Migräne-Prophylaxe eingesetzt.

In Österreich sind die Präparate nicht erhältlich, "weil die Pflanze auch lebertoxische Pyrrolizidinalkaloide enthält", so Glasl-Tazreiter. "Obwohl die Substanzen in den Extrakten nicht nachgewiesen werden können, dürfen die Produkte nicht verkauft werden."

Einer der häufigsten Wegbegleiter auf der Salzkammergut-Wanderung sind Farne, etwa der Wurmfarn (Dryopteris filix-mas). Lange hat Saukel an einem Nagelpilz gelitten, der sich mit synthetischen Medikamenten nicht bekämpfen ließ. "Bei einem Waldspaziergang ist mir aufgefallen, dass die Blätter des Wurmfarns nicht von Mikroorganismen befallen werden, das hat mich auf eine Idee gebracht", sagt er. Saukel hat die Blätter in Schnaps eingelegt und damit den Zehennagel bepinselt. "Nach monatelangen Anwendungen war der Pilz besiegt." Zum Nachahmen rät er aber nicht. Zunächst sind Farnextrakte oral eingenommen stark giftig und: "Es gibt verschiedene Pilzarten, die den Menschen befallen, und natürlich sollte zuerst der Wirkmechanismus erforscht werden." (Nikolai Atefie, 17.9.2019)