Am 17. September jährte sich zum 336. Mal ein ganz besonderes Ereignis: Mikroorganismen wurden erstmals in der Geschichte von Menschenaugen gesehen, und zwar von denen des Holländers Antonie van Leeuwenhoek. Mit eigenen Augen, aber natürlich auch mithilfe eines selbstgebauten Mikroskops. Woher stammten diese Mikroorganismen, die er Animalcules (kleine Tiere) nannte? Aus Abwasser oder Schlamm? Aus Kadavern oder vielleicht vergorenem Fleisch? In der Tat stammten diese Mikroorganismen von einem gesunden Menschen – abgekratzt von den Zähnen eines achtjährigen Kindes, um genau zu sein.

Heute gibt es einen Namen für die Milliarden Mikroorganismen, die auf und in uns leben – das Mikrobiom. Es hat überraschend lange gedauert, bis wir erkannt haben, dass dieses wimmelnde Ökosystem, das unser Körper beherbergt, extrem wichtig für unsere Gesundheit ist. Die Erforschung der Rolle dieser winzigen, aber dennoch überlebenswichtigen Lebewesen für unsere Gesundheit ist heute eines der aktuellsten Themen in der Biologie und Biomedizin.

Es ist heute fast unvorstellbar, aber wir wussten lange viel mehr über die Mikroorganismen, die in unserem Abwasser leben, als über diejenigen, die uns jeden Tag auf unserer Haut, in unserem Darmtrakt oder in unserem Mund begleiten. Die Bedeutung der vorteilhaften Bakterien für unsere Gesundheit wurde enorm unterschätzt. Zum einen waren die entscheidenden Techniken, sie und ihre Wirkung im Körper sichtbar zu machen, noch nicht entwickelt, zum anderen war der Fokus der Forschung vielmehr auf die "schlechten" Bakterien, die Krankheitserreger, gerichtet. Das hat sich schlagartig verändert, als erkannt wurde, dass Krankheitserreger in Anzahl und Vielfalt den "guten" Bakterien weit unterlegen sind. Oft ist von einem Konkurrenzkampf ums Überleben die Rede, wobei Kooperation eine wichtigere Rolle in der Evolution gespielt haben könnte.

Hybridwesen Mensch

"Gute" Bakterien klingt vielleicht verrückt, aber schon vor der Mikrobiom-Revolution waren einige Bakterienarten bekannt, die mit gesunden Tieren oder Pflanzen zum Vorteil beider Partner zusammenleben. Beispiele sind Knöllchenbakterien, die in den Wurzeln von Hülsenfrüchten leben und dort Stickstoffdünger für die Wirtspflanze herstellen. Ein anderes Beispiel findet man weit, weit weg von unseren Äckern auf dem Boden der Tiefsee. Hier, in der ewigen Finsternis, gedeihen riesige Röhrenwürmer, größer als ein ausgewachsener Mensch. Ihr Leben verdanken sie symbiontischen Schwefelbakterien, die Energie aus chemischen Verbindungen wie Schwefelwasserstoff nehmen, um Primärproduktion zu betreiben und so ohne Sonnenlicht auszukommen.

Röhrenwürmer auf dem Meeresboden.
Foto: Stepphanie Markert/Craig Cary

Manche dieser vorteilhaften Bakterien leben sogar ausschließlich auf oder im Wirtstier oder der Wirtspflanze, und zwar schon so lange in ihrer evolutionären Geschichte, dass beide Partner komplett voneinander abhängig geworden sind. Eigentlich kann man dann nicht mehr von zwei oder mehreren Partnern in einer vorteilhaften Beziehung reden, sondern von einem Hybridwesen, wie den Bestien der antiken Mythologie oder den Göttern des Hinduismus.

Vielleicht finden Sie es unangenehm, aber auch Sie sind ein Hybridwesen. Das könnten Sie auch sehen, wenn Sie die Zellen ihres Körpers mehrere hundert Mal vergrößerten, denn jede Zelle beherbergt mikroskopische Kraftwerke. Diese Kraftwerke werden Mitochondrien genannt. Sie sind uralte Verwandte der heute frei in der Umwelt lebenden Alphaproteobakterien. Die Vorfahren der Mitochondrien haben ihre Freiheit aufgegeben und leben heute nur noch, da sie unsere beziehungsweise die Zellen aller Tieren und Pflanzen mit Energie versorgen. Im Gegenzug haben sie ein auf ewig sicheres Zuhause bekommen.

Gute Kommunikation ist alles

Kaum ein Tier, kaum eine Pflanze kann ohne Hilfe von guten Bakterien überleben. Das ist ein Hinweis darauf, dass solche Beziehungen sehr früh in der Evolutionsgeschichte entstanden sind. Die Symbiose funktionierte wahrscheinlich in anderen Lebewesen ähnlich wie in Röhrenwürmern und Menschen. Wir teilen grundsätzliche Facetten unserer Biologie mit allen bekannten Lebewesen, zum Beispiel verwenden wir alle DNA als Erbgutsmolekül. Es kann also gut sein, dass es eine geheime Sprache gibt, die alle höhere Organismen nutzen, um mit Mikroorganismen zu kommunizieren. Letztendlich gelingt keine einzige Beziehung, kein friedliches Zusammenleben ohne gute Kommunikation.

In der Wirts-Symbionten-Beziehung ist es wichtig, einander in einer Umgebung voller unzähliger und unfassbar vielfältiger Mikroorganismen zu erkennen. Es ist vor allem wichtig, die "Guten" von den "Bösen" unterscheiden zu können. Ressourcen wie Lebensraum oder Sauerstoff müssen gerecht geteilt werden. Wie dieses empfindliche Gleichgewicht entsteht und wie es ein Leben lang erhalten bleibt, ist immer noch nicht restlos geklärt. Es werden aber immer mehr Krankheiten – von Alzheimer über Fettleibigkeit bis Depression – mit einem fehlenden Gleichgewicht im Mikrobiom in Verbindung gebracht. Falls die Ursache für diese Krankheiten sich tatsächlich im Mikrobiom verbirgt, könnte sich dort auch die Lösung befinden – und diese Krankheiten könnten sich in Zukunft mit neuen Mikrobiom-Therapien behandeln lassen.

Geheimsprachen und Symbiosen

Leiden Röhrenwürmer unter Alzheimer? Sind Muscheln deprimiert? Das können wir im Moment nicht sagen, aber diese Lebewesen bieten trotzdem einzigartige Möglichkeiten, grundlegende Aspekte der Symbiose zu untersuchen, zum Beispiel die geheime Sprache, die das friedliche Zusammenleben ermöglicht. Die Beziehungen zwischen bestimmten Meeresweichtieren wie Röhrenwürmern oder Muscheln und ihren bakteriellen Partnern sind ungewöhnlich einfach im Vergleich zum Menschen. Während das Darmmikrobiom aus hunderten Bakterienarten besteht, leben Mondmuscheln, die weit verbreitet im Meer vorkommen, mit einer einzigen Bakterienart zusammen, von der sie alle Nährstoffe bekommen. Um eine unbekannte Sprache zu entschlüsseln, ist es von Vorteil, wenn nur zwei miteinander kommunizieren – so wie die Mondmuschel und ihre Partnerbakterienart. Im menschlichen Darm tauschen sich gleichzeitig hunderte verschiedenste Partner miteinander und mit dem Wirt aus. Und wenn mich meine zwei Kinder gleichzeitig anschreien, verstehe ich schon nichts mehr!

Mondmuscheln unter Wasser ...
Foto: Benedict Yuen
... und im Labor.
Foto: Ulisse Cardini

Wie das Mischwesen Ganesha "Herr allen Anfangs" genannt wird, ist Symbiose, das Zusammenschmelzen unterschiedlicher Organismen, eine treibende Kraft der Evolution. Ohne Symbiose wäre der Mensch nie entstanden, und ohne Symbiose könnten wir heute nicht überleben. Das Ziel unsere Forschung ist, unser grundlegendes Verständnis der Kooperation von Wirt und Mikroben zu verbessern, was eine wichtige Basis für die medizinische Mikrobiomforschung darstellt. (Jillian Petersen, 18.9.2019)