Wer auf Hormus in egal welche Richtung spaziert, sieht rot. Ein Netz aus karmesinfarbenen Wegen spinnt sich über das kleine Stück Land im Persischen Golf, das den Einheimischen als Henna-Insel bekannt ist. Die Frauen auf Hormus fertigen wie vielerorts in Asien kunstvolle Tattoos mit dem Farbstoff. Doch hier wird er nicht aus dem Hennastrauch gewonnen, sondern aus der eisenoxidhaltigen Erde. Neben dem Silberstrand, der im Sonnenlicht tatsächlich wie das Edelmetall strahlt, steht ein mannsgroßes Stahlgeflecht. Früher wurde Hormus-Henna damit einfach am Wegesrand gesiebt. Doch das scheint eine Weile her zu sein. Auch in der Henna-Mühle ein paar Kilometer weiter stehen mittlerweile die Räder still.

Das Regenbogental im iranischen Süden gilt als Traumziel vieler Geologen. Aber auch Amateure haben hier Spaß am Steineschauen.
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Überhaupt geht es auf dem kreisrunden Eiland mit einem Durchmesser von weniger als zehn Kilometern beschaulich zu – aber eben auch sehr bunt. Um die gesamte Farbpalette von Hormus auf einem einzigen Fleck zu bestaunen, muss man nur ins Regenbogental im Südwesten der Insel spazieren. Wie von einem exzentrischen Schöpfer in Form gepresste Sande und Erden leuchten hier in Rot, Rostbraun, Grün, Schwarz, Gelb, Ocker und Türkis. Am Ende des Regenbogens thront ein weißer Berg aus Salz.

Wunderwerke der Natur

In der Stadt Hormus begrüßt Ahmad Nadalian die wenigen Besucher seines kleinen Museums, das wie eine urbane Miniatur des Regenbogentals wirkt. Die Wände sind in all jenen Farben gestrichen, die auch in der Natur auf Hormus vorkommen. Nadalians Händedruck ist zaghaft, der Blick unsicher. Dabei schlagen seine kraftvollen Pranken seit Jahren Skulpturen aus dem Stein der Insel. Und seine Augen spüren mit großer Sicherheit jene magischen Orte und Momente auf, die er bis heute mit einer alten Leica-Kamera verewigt.

Ein paar seiner Arbeiten sind in den drei vollgestopften Räumen des Museums ausgestellt. Daneben lagern hunderte Alltagsgegenstände, die er auf Hormus zusammengetragen hat. "Viele Einheimische wissen dieses Erbe nicht zu schätzen. Und die meisten von ihnen können nicht einmal etwas mit der landschaftlichen Schönheit ihrer Insel anfangen", klagt der Künstler. Tatsächlich strotzen Hormus und die deutlich größere Nachbarinsel Qeschm nur so vor Wunderwerken der Natur.

Das "Sternental" auf der Insel Qeschm.
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Unter portugiesischer Herrschaft im 16. Jahrhundert zählte Hormus aufgrund der strategischen Lage zu den reichsten Handelsplätzen der Welt – heute zählt sie nur noch 3000 Einwohner. Auch die Nachbarinsel Qeschm, die größte im Persischen Golf, ist nicht gerade dicht besiedelt. Doch aus gutem Grund wurde sie in die Liste der Unesco-Geoparks aufgenommen. Damit zeichnet die Organisation Gebiete von internationaler geologischer Bedeutung aus.

Sackgassen aus Sandstein

Eines dieser geologischen Wunder auf Qeschm ist das Tal Darreh Setareha. Wer in diesem Labyrinth aus zerklüfteten Sandsteincanyons, Sackgassen und Säulen wandelt, wähnt sich auf einem anderen Planeten. Wind und Wetter haben diesen seltsamen Ort über Jahrmillionen geformt. Der Chahkuh-Canyon, nur ein paar Kilometer weiter, gilt vielen Geologen überhaupt als das Maß aller Dinge in der Golfregion.

Tatsächlich strotzen Hormus und die deutlich größere Nachbarinsel Qeschm (Foto) nur so vor Wunderwerken der Natur.
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Surreal anmutende Felsformationen erinnern an einen Schweizer Käse im Großformat. Als die Portugiesen die Insel am Eingang zum Persischen Golf besetzten, fanden die ursprünglichen Bewohner Schutz in diesem steinernen Labyrinth. Noch heute sind die Überreste ihrer Behausungen zu erkennen. Es ist ein märchenhafter Irrgarten, dessen Baumeister neben Wind und Wasser auch die Tektonik war. Kaum ein Land der Welt ist von so vielen Verwerfungen der Erdplatten durchzogen wie der Iran.

Unerforschte Unterwelt

Zahlreiche, oft noch unerforschte Hohlräume machen aus Qeschms Unterwelt eine Spielwiese für Höhlen- und Hobbyforscher. Der Namakdan-Komplex im Südwesten beherbergt etwa die größte Salzhöhle der Welt. Sechseinhalb Kilometer lang ist das unterirdische System. Zwischen den gewaltigen Kathedralen aus Salz und purpurnen Mineralien wird es aber zuweilen richtig eng. Robben im Schein einer Taschenlampe ist angesagt, will man dort unten weiterkommen – definitiv kein Ort für Klaustrophobiker.

Der Namakdan-Komplex im Südwesten beherbergt etwa die größte Salzhöhle der Welt.
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Verlässt man die geschützten Geosites, offenbart sich ein Problem, das beide Inseln betrifft: Plastikmüll. Abfall wird – wenn überhaupt – gleich hinterm Haus verbrannt. Genau hier setzt die Unesco im Rahmen ihres Programms an, um in der Region Geotourismus zu etablieren. Die Organisation ist nämlich der Auffassung, dass die geologischen Stätten und Phänomene hier so einzigartig sind, dass Menschen allein dafür in den iranischen Süden reisen. Schüler werden deshalb in Seminaren für den Umweltschutz sensibilisiert. Sie sollen lernen, dass internationaler Tourismus hier nur Fuß fassen kann, wenn nicht das einzige Kapital der Insel – schöne Steine – unter Müllbergen verschwindet.

Gute Sicherheitslage

Derzeit scheint die Anzahl der Iran-Reisenden aber rückläufig zu sein. Nach einigen Boomjahren meiden viele Touristen den krisen- und sanktionsgeplagten Staat erneut. Und das, obwohl der Iran für Ausländer derzeit zu den günstigsten Reiseländern weltweit zählt. Auch die Sicherheitslage ist für Touristen grundsätzlich gut. Doch besonders in der Straße von Hormus war der Streit zwischen den USA, Europa und dem Iran zuletzt spürbar.

Hormus wird auch die "Henna-Insel" genannt. Doch hier wird der rote Farbstoff nicht aus dem Hennastrauch gewonnen, sondern aus der eisenoxidhaltigen Erde.
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Der Künstler Ahmad Nadalian gibt sich für die Insel Hormus dennoch recht zuversichtlich: "Wenn es uns gelingt, die lokale Bevölkerung auch an der Wertschöpfung partizipieren zu lassen, wird diese Form des Ökotourismus hier gut funktionieren." Nadalian, dessen Kunstwerke schon in über 60 Ländern zu sehen waren, tut vor Ort selbst etwas dafür: Er beschäftigt vor allem Frauen in seinem Museum, die traditionellen Rollenbildern entkommen wollen, finanziert das mit den Verkäufen seiner Bücher, CDs und Souvenirs. Künstler aus der Region fertigen für den Museumsshop auch Keramiken aus den bunten Mineralien der Insel. Viele potenzielle Kunden lassen sich in diesen Tagen aber nicht blicken.

Phönix aus dem Felsen

Im Tal der Statuen herrscht dagegen vergleichweise reger Betrieb. Gut zwei Dutzend Besucher bestaunen in der Hauptsaison täglich die Felsformationen, die Fabelwesen ähneln und deren Namen tragen: der Phönix etwa oder der Drache. Scharfkantige Wände zwängen diese Schlucht in ein enges Korsett, von deren Ausgang aus man einen schwindelerregenden Blick auf das Meer und die Steilküste hat. Eine perfekte, wenn auch nicht ungefährliche Location für Selfies und Instagram-Poser. Das ganze Land scheint übrigens vom Insta-Hype gefangen zu sein. Kein Wunder, ist das soziale Medium doch eines der wenigen offenen Fenster zur restlichen Welt.

Hotels gibt es auf Hormus noch nicht, aber wenn es nach Nadalian geht, könnten ruhig ein paar mehr Menschen den fantastischen Ausblick aufs Meer genießen. "Der Anfang ist getan", verkündet er vorsichtig optimistisch. "Die ersten Homestays sind entstanden, Bauern aus der Umgebung liefern Obst und Gemüse, und die Gäste werden traditionell bekocht. Dazu die friedliche Atmosphäre unserer kleinen Insel", schwärmt der Künstler. Am alten Hafen von Hormus tummeln sich nun auch wieder einige Händler. Sie sitzen in dem kleinen Kaffeehaus, das dort jüngst entstanden ist. (Marc Vorsatz, RONDO, 9.10.2019)