Handel sicherte Venedig früher eine wirtschaftlich starke Stellung. Der Uhrturm zeigte den Eingang zur "Mercerie", dem Handelsviertel, an. Bis heute kaufen einige wenige Einheimische dort ein.

Foto: Wolfgang Salomon

Die Jesuitenkirche befindet sich am nördlichen Stadtrand in unmittelbarer Nähe der Fondamente Nuove.

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Die "Geisterinsel" Poveglia

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Die "vollkommen unwahrscheinliche Stadt", wie ihr ehemaliger Bürgermeister Massimo Cacciari Venedig nannte, hat schon viele in ihren Bann gezogen. So auch Wolfgang Salomon. Der Wiener Autor, Fotograf und Gastronom war mit vier Jahren zum ersten Mal in der Lagunenstadt und ist ihr seither verfallen.

Auch als heute 52-Jähriger kehrt Salomon gern zurück. Mittlerweile kennt er das wahre Venedig und seine besonderen Orte – fernab von Touristenmassen -, wie nur wenige andere. Vor allem über versteckte Ecken, aber auch über Kulinarik und die bewegte Geschichte seiner Herzensstadt schreibt er in seinem neuen Buch "Venedig und die Lagune für Fortgeschrittene".

Doch um wen handelt es sich bei den titelgebenden Fortgeschrittenen? "Venedig lernt man in Phasen kennen. Beim ersten Besuch schaut man die großen Sehenswürdigkeiten an. In der zweiten Phase interessiert man sich für die 'Sestieri', die Stadtteile. Weiter fortgeschritten fährt man mit Linienbooten zu Inseln wie Lido oder Murano", so Salomon. Erst nach diesen Phasen könne man das stille und zeitlose Venedig kennenlernen. Der Autor selbst begab sich für sein Buch noch ein wenig weiter: Er erkundete zwei Jahre lang nicht nur die Stadt, sondern auch Großteile der Lagune und ihre mancherorts menschenleeren Inseln.

Zu viel des Guten

Das Zentrum rund um San Marco zeigt sich von einer völlig anderen Seite, der unkontrollierte Massentourismus prägt das Stadtbild. So wichtig die Fremdenverkehrseinnahmen für die Stadt auch sind, in Venedig ist man überfordert ob des Andrangs. Jährlich kommen etwa 28 Millionen Besucher in die Lagunenstadt, wobei Experten zufolge schon 19 Millionen die Kapazitäten ausschöpfen. Venedig ist zum Paradebeispiel für Overtourism geworden: Kreuzfahrtschiffe sorgen für Schäden, Reisegruppen überrennen Hotspots, und hohe Mieten führen zu Stadtflucht unter den Venezianern. Die Verbleibenden versuchen, sich gegen die Touristenmassen zu wehren. Ein Anlegeverbot für manche Kreuzfahrtschiffe sowie Eintrittspreise für Tagestouristen sind angedacht.

"Im Zentrum von Venedig ist es nicht anders als in Wien im ersten Bezirk", findet Salomon. Problematisch werde es, wenn auch in anderen Teilen der Stadt die Infrastruktur verschwindet und die Leute wegziehen: "Da spielen viele Komponenten rein. Durch Airbnb steigen Wohnungspreise, und wenn die Einheimischen wegziehen, verschwinden Greißler. Dazu kommt der Generationenkonflikt, vielen Touristen fehlt auch Respekt."

Das echte Venedig

Doch für das Reiseverhalten von Pauschaltouristen und Kreuzfahrer zeigt der Autor ohnehin kein Verständnis – sie könnten mit "seinem" Venedig ohnehin nichts anfangen. Besondere Eindrücke gäbe es heute aber nur mehr weit abseits von Markusplatz und Rialtobrücke zu sammeln. Die Aufgabe seines Buches: "Es geht darum, zu zeigen, dass das touristische und das echte Venedig zwei Paar Schuhe sind."

So weckt Salomon auch in weniger fortgeschrittenen Venedig-Reisenden Entdeckerlust. Er lässt sich von seinem Instinkt leiten und stößt dadurch immer wieder auf neue, touristisch völlig unerschlossene oder menschenleere Ecken. Die besten dieser Entdeckungen hat er in seinem Buch beschrieben, einer Schatzsuche gleich sind sie als "Orte zum Verweilen" auf Karten markiert.

Schätze für Frühaufsteher

Für Frühaufsteher ist es ein Leichtes, diese kleinen Schätze zu finden: Frühmorgens kann man im Norden der Stadt, am Fondamente Nuove, ungestört den Sonnenaufgang über der Lagune genießen. Zu späterer Stunde herrscht im Giudecca-Kanal dann reges Treiben, es tummeln sich Vaporetti, Privatboote und von Zeit zu Zeit die Kreuzfahrtriesen. Von der Spitze der Fondamenta Beata Giuliana di Collato aus kann man den Schiffsverkehr in Ruhe beobachten, ohne sich von der Hektik anstecken zu lassen. Und wer bereit ist, selbst in die Lagune vorzudringen, kann auch per Kajak vieles entdecken: zum Beispiel die "Geisterinsel" Poveglia oder eines der "Ottagoni", der achteckigen Wehranlagen aus dem 16. Jahrhundert.

Reisenden, die genug von millionenfach fotografierten Sehenswürdigkeiten und endlosen Menschenschlangen haben, rät Salomon, es ihm gleichzutun: "Man muss seinem Gefühl vertrauen, sich bewusst in den Gassen verirren. Dabei entdeckt man viel Interessantes, lernt Leute kennen – und kommt gar nicht in die Nähe der Menschenmassen." Also an Orte, wo selbst Venezianer verständnislos den Kopf schütteln, wenn sie das Wort Overtourism hören.(Martina Reinegger, RONDO, 22.9.2019)