Der Innsbrucker Klettersteig ist kein Sonntagsspaziergang. Die Stahlseile wiegen Freizeitsportler in trügerischer Sicherheit.

Foto: TVB Innsbruck / Christian Vorhofer

Das Geräusch der Karabiner, die am Stahlseil reiben, vermittelt Sicherheit. Obwohl sich mit jedem Tritt der Abgrund unter den Füßen vergrößert, weicht die Angst vor dem Absturz schnell einem Hochgefühl. Auf der einen Seite liegt Innsbruck, gut 1.500 Meter tiefer im Tal. Auf der anderen Seite thronen die majestätischen Gipfel des Karwendelgebirges. Klettersteige eröffnen Laien die einzigartige Möglichkeit, sich in ein Gelände vorzuwagen, das sonst nur erfahrenen Alpinisten vorbehalten ist. Jener auf der Nordkette in Innsbruck zählt zu den bekanntesten und spektakulärsten seiner Art. Eine Gratwanderung im wahrsten Sinn des Wortes.

Denn die vermeintliche Sicherheit ist trügerisch. Auch wenn die Absturzgefahr dank Stahlseilsicherung gering ist, bleiben die Risiken des Hochgebirges. "Die meisten unserer Einsätze auf dem Klettersteig wären vermeidbar", sagt Gebi Mair von der Bergrettung Innsbruck. Der Politiker der Tiroler Grünen ist erfahrener Alpinist und leitete beim Innsbrucker "Klettersteig-Testival", das im September 2019 erstmals stattfand, den Notfall-Workshop. Er mahnt zu gründlicher Tourenplanung, bevor man sich in den Fels wagt. Das beginnt beim Studieren des Wetterberichts. Klettersteige sind lang, und ein Wettersturz passiert binnen Minuten. "Die Stahlseile sind riesige Blitzableiter", gibt Mair zu bedenken. Nach wetterbedingten Notfällen sind Erschöpfung und Verirren die häufigsten Gründe für Rettungseinsätze auf dem Innsbrucker Klettersteig. Erst an vierter Stelle folgen Verletzungen.

Sinn und Unsinn

Wer keine alpine Erfahrung mitbringt, sollte sich an Klettersteige herantasten. Im Rahmen des "Testivals" bot Bergführer Klaus Kranebitter mit seinen Kollegen von der Firma Climbhow Interessierten genau diese Möglichkeit. Mittlerweile seien Klettersteige zum Massenprogramm geworden, sagt Kranebitter. Nicht zuletzt deshalb, weil sie touristisch genutzt werden. Kaum eine alpine Destination kommt heute noch ohne aus. Doch im Wettbewerb um die spektakulärste Route gerät die Sicherheit oft ins Hintertreffen.

Darum ist in Alpinistenkreisen längst eine Diskussion um Sinn und Unsinn der Klettersteige entbrannt. Österreich ist mit derzeit 413 solcher Angebote weltweit absolute Spitze. Zumindest die Nachfrage rechtfertigt dies, wie sich auch auf der Nordkette zeigt. Die ersten Gondeln aufs Hafelekar, wo der Innsbrucker Klettersteig startet, sind gut gefüllt. Nicht wenige der Fahrgäste tragen Gurtzeug und Helm. Am senkrechten Routeneinstieg angelangt, heißt es für sie erst einmal Schlange stehen. Das Bild erinnert an jenes vom überfüllten Mount Everest, das heuer um die Welt gegangen ist.

Eine Frage der Technik

Mancherorts wird der Ansturm schon zum Problem. Etwa im Salzkammergut beim Drachenwand-Klettersteig, wo allein heuer schon mehr als 20.000 Begehungen verzeichnet wurden. Angesichts der Massen, die sich im Fels bewegen, seien die Unfallzahlen erstaunlich gering, sagt Kranebitter. So gab es im Vorjahr – gerechnet wurde von November 2017 bis Oktober 2018 – nur sechs tödliche Unglücke. Von den 180 Notfällen auf Österreichs Klettersteigen waren 115 solche ohne Verletzte. Damit sind jene gemeint, die wegen Erschöpfung oder Panik geborgen werden mussten.

Damit das Erlebnis "Via ferrata" (Eisenweg), wie Klettersteige ob ihrer eisernen Sicherungselemente genannt werden, nicht mit einem Notruf endet, gilt es mehr zu beachten als nur das Umhängen der Karabiner. "Es beginnt bei der Klettertechnik", erklärt Bergführer Gerhard Mössmer. Die künstlichen Steighilfen, denen man trotz Wartung niemals blind vertrauen sollte, würden dazu verleiten, sich an schwierigen Stellen mittels Armkraft hochzuziehen: "Wenn du das machst, bist du spätestens nach der ersten Wand blau." Wie auch beim Sportklettern sei daher das richtige und effiziente Steigen unerlässlich.

Klassisch per Seil sichern

Das Klettersteigset mit den zwei elastischen Lastarmen und dem Bandfalldämpfer stellt die lebensrettende Verbindung zwischen Mensch und Berg dar. Es ist jedoch kein Sicherungselement wie das Seil beim Sportklettern. So vermag es zwar einen tödlichen Absturz zu verhindern, aber das Verletzungsrisiko ist ungleich höher. Wer ausrutscht, fällt bis zum nächsten Umhängepunkt plus weitere 2,20 Meter, die sich der Bandfalldämpfer öffnet. Die Kräfte, die dabei auf den Körper wirken, sind enorm.

"Besondere Vorsicht ist bei Kindern geboten", erklärt Mössmer. Denn die neuesten Normen für Klettersteigsets beziehen sich auf Personen mit einem Gewicht zwischen 40 und 120 Kilogramm. Für Kinder, die leichter sind, seien die Sets daher ungeeignet. Wer seinen Nachwuchs dennoch mitnehmen will, muss ihn klassisch per Seil sichern, empfiehlt der Profi, der selbst vier kraxelnde Kinder hat. Wer das nicht beherrscht, sollte die Kleinen von vornherein daheim lassen. Überhaupt gilt, sagt Mössmer: "Ich nehme mein Kind nur dann mit, wenn ich selbst den Klettersteig blind gehen könnte."

Wer das Hochgefühl eines Gipfelsieges erleben will, dem bietet die Via ferrata sicher einen reizvollen Weg dorthin. Doch es ist keine Wanderung, sondern bleibt Risikosport. (Steffen Arora, RONDO, 25.9.2019)