Die ÖVP plant – entgegen der Empfehlung von Österreichs führenden Verfassungsexperten –, noch vor der Wahl eine Änderung des Vereinsgesetzes und will damit ein Verbot der Identitären Bewegung erwirken. Die rechtsextreme Gruppe, hinter der unter anderem der Verein zur Erhaltung und Förderung der kulturellen Identität steht, soll demnach das erste Ziel eines neuen Paragrafen im österreichischen Vereinsrecht werden.

Diesem zufolge sollen all jene Vereine aufgelöst werden, die sich "gegen die demokratische Grundordnung" richten, heißt es im ÖVP-Vorschlag, der dem STANDARD vorliegt. Schon jetzt können jedoch Vereine, die strafrechtliche Handlungen gesetzt haben oder solche, die gegen ihren Vereinszweck handeln, aufgelöst werden.

Zusätzlich solle ein Entschließungsantrag eingebracht werden, "der den Innenminister auffordert, Vereine, die mit der Identitären Bewegung oder dem politischen Islam in Zusammenhang stehen, auf Basis der Gesetzesänderung zu überprüfen und entsprechende Auflösungsverfahren einzuleiten". Auch sollen die Symbole der Identitären verboten werden. Damit will die Volkspartei die Ausbreitung des "extremistischen Gedankenguts bestmöglich unterbinden".

"Eingriff in die Grund- und Freiheitsrechte"

Dass es sich dabei tatsächlich um den bestmöglichen Weg handelt, schließen Österreichs Verfassungsexperten aus. Der renommierte Verfassungsjurist Heinz Mayer sieht im STANDARD-Gespräch etwa "überhaupt keinen Bedarf" für den erneuten ÖVP-Vorstoß.

Auch findet er es äußerst bedenklich, dass man das Gesetz nun in einer Art Schnellschuss-Aktion vor der Wahl durchpeitschen möchte, handle es sich bei dem vage formulierten Vorschlag potenziell doch um einen "bedenklichen Eingriff in die Grund- und Freiheitsrechte", der den Parlamentariern nicht ohne ein ausführliches Begutachtungsverfahren vorgelegt werden sollte. Alleine der Begriff "demokratische Grundordnung" ließe zu viel Spielraum für Interpretationen.

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Die ÖVP will die Identitären verbieten. Die anderen Parteien zeigen sich zögerlich bis ablehnend. Verfassungsjuristen halten den Vorstoß für bedenklich. Im Bild: Identitären-Chef Martin Sellner (links) und ein Identitärer mit Kurz-Maske.
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Auch der Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk hält eine Änderung des Vereinsrechts für fragwürdig. Man müsste freilich den fertig ausformulierten Gesetzestext zur Gänze kennen, aber so, wie das bisher klinge, öffne es Tür und Tor für "unerwünschte Unbestimmtheiten". Wie auch Mayer, sieht Funk die bestehenden Mittel des Vereinsgesetzes im Verbund mit Strafgesetzbuch, Verbotsgesetz und polizeilichen Überwachungsmöglichkeiten für ausreichend. Überall, wo es nicht greife, müsse eine Gesellschaft damit umgehen können, so Funk. Mayer schließt hingegen nicht aus, dass beim Strafgesetzbuch an der ein oder anderen Stelle vielleicht nachgeschärft werden könnte.

Aufsplitterung in kleinere Vereine

Für besonders schwierig hält Funk die Tatsache, dass ein Verstoß gegen die demokratische Grundordnung vom entsprechenden Verein kollektiv begangen und diesem zugeordnet werden müsse. Das Ausscheren einzelner Mitglieder reiche dafür nicht. Ebenso hat man im Falle aufgelöster Vereine immer noch die Problematik, dass die Handelnden schlichtweg als Privatpersonen ihre Ziele verfolgen oder sich in kleinere, zunächst ungefährlich wirkende Vereine aufdröseln. "Da ist es oft besser, man weiß, mit wem man es zu tun hat", so Funk.

Verfassungsjurist Mayer kritisiert auch die Verbindung, die die ÖVP zwischen Verfassungsschutzbericht und Vereinsauflösungen herstellt. Ein Bericht des BVT rechtfertige keine Auflösung – es brauche dafür Ermittlungen von Justiz- und Innenministerium.

"Türkise Allmachtsfantasien"

Auch die politischen Mitbewerber sind äußerst skeptisch, was ein Verbot der Identitären und eine dementsprechende Vereinsgesetzänderung betrifft. Der ÖVP, die ein Identitären-Verbot vor kurzem einigermaßen überraschend zur Koalitionsbedingung gemacht hat, könnten damit die möglichen Koalitionspartner ausgehen, sofern sie denn zu ihrem Wort steht. Zwar fordern etwa SPÖ und Neos eine gründliche Überprüfung der Identitären durch die Ressorts Inneres und Justiz, einem Verbot stehe man bei den Neos grundsätzlich aber skeptisch gegenüber.

Vonseiten der SPÖ – der wie auch den anderen Parteien noch kein ÖVP-Antrag zu den Identitären vorliegt – sprach man davon, in dieser demokratiepolitisch sensiblen Angelegenheit keine Schnellschüsse zu wollen. Zudem wolle man zuerst die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten erörtern und die Einschätzungen von Justiz und Innenministerium abwarten.

Unverändert ist die Position der FPÖ. Sie schloss sich in einer Stellungnahme vor einer Woche den Aussagen von Bundespräsident Alexander Van der Bellen – "Das würde ich mir dreimal überlegen. Die Auflösung eines Vereins ist eine juristisch sehr heikle Angelegenheit" – sowie jenen von Vizekanzler und Justizminister Clemens Jabloner an. Letzterer sagte, er sei "prinzipiell der Meinung, dass man die Grundrechte auch dort nicht einschränken soll, wo es um zutiefst unsympathische Gruppen geht wie die Identitären". FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky sprach gar von "türkisen Allmachtsfantasien" und pochte darauf, die Frage mit den bestehenden Mitteln des Rechtsstaats zu lösen.

Peter Pilz von der Liste Jetzt betonte bereits in der vergangenen Woche, "dass alle extremistischen Vereine schon heute aufgelöst werden können". (Fabian Sommavilla, 17.9.2019)