Wien – CEU: Die drei großen Buchstaben, die auf dem Dach des Glasgebäudes in der Quellenstraße 51 prangen, sind schon von weitem zu sehen. Sie kündigen den Einzug der Central European University an. Es handelt sich um jene Hochschule, die sich Ende 2018 gezwungen sah, ihre US-akkreditierten Programme von Budapest nach Wien zu verlegen, weil sie vom ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán vertrieben wurde.

Vor einigen Wochen wurden die Buchstaben schon angebracht. Der Campus selbst ist derzeit aber noch verwaist: Die Gänge sind leer, die meisten Hörsäle noch versperrt. In der Bibliothek, dem größten Raum der Uni, reiht sich leeres Regal an Regal. Bücher, die zum Teil aus der Bibliothek in Budapest hergebracht werden, sind noch keine eingeordnet. Stellung halten derweil zwei Sicherheitsmitarbeiter im Eingangsbereich und die Arbeiter, die die ersten drei Stockwerke des Glasgebäudes schon weitgehend für den Uni-Betrieb fit gemacht haben.

Und obwohl der Umbau offenbar noch nicht ganz abgeschlossen ist, lässt sich hie und da schon eine Ähnlichkeit zum Campus in Budapest erkennen. In etwa zwei Wochen werden die ersten Master-Studenten ankommen, 2020 kommen dann noch Bachelor-Studenten hinzu.

Die Straßenbahn bringt einen in wenigen Stationen zum Reumannplatz.
Foto: andy urban

Imbisse freuen sich auf Kundschaft

Direkt vor der Haustüre hält die Straßenbahnlinie 6, die einen in zwei Stationen zum Reumannplatz mit U-Bahn-Anschluss bringt. Ein paar Jahre wird die CEU im zehnten Bezirk bleiben, bevor sie auf das Areal des Otto-Wagner-Spitals in Penzing übersiedeln wird. Anders als etwa bei der Fachhochschule Campus Wien, die sich ebenfalls im Zehnten ansiedelte, ist die Umgebung der CEU zwar nicht unbedingt pulsierend, aber durchaus belebt: Schanigärten mischen sich zwischen Imbissstandln, Supermärkten und Friseuren. Standler freuen sich auf neue Kundschaft. Aber nicht alle haben mitbekommen, dass hier in Kürze Studenten einziehen werden.

Die Uni zieht in einen Arbeiterbezirk, und zwar einen mit der zweitniedrigsten Akademikerquote Wiens. Nur in Simmering ist sie noch geringer. Zusätzlich ist er auch der bevölkerungsreichste Stadtteil Wiens: Mehr als zehn Prozent der Wiener Gesamtbevölkerung lebt hier, und das oft auf engem Raum. Etwa die Hälfte der Bewohner ist ausländischer Herkunft. Die – eben für ihre liberale Haltung von Orbán verschmähte Uni – betont selbst, "in das Herz" des "multikulturellen Favoriten" zu ziehen, einem der "diversesten Schauplätze Wiens".

Seitens der Stadt wird die Nähe der Uni zum "aufstrebenden" Sonnwendviertel hervorgehoben.
Foto: andy urban

Die Stadt Wien freut sich über die neue Universität, die Verantwortlichen sprechen von "perfekten Forschungs- und Studienbedingungen". Für die Mitarbeiter hat die Wirtschaftsagentur Wien ihr Beratungsteam für Expatriates aufgestockt, um bereits vor der Übersiedlung zu unterstützen. Vor allem die Nähe zum "aufstrebenden" Sonnwendviertel wird hervorgehoben.

Der Sozialwissenschaftler und Stadtforscher Marc Diebäcker beobachtet, dass Favoriten derzeit einem Wandel unterzogen wird. "Die Mittelschicht sucht nach leistbarem Wohnen. Favoriten, das vor wenigen Jahren noch Tabu für gewisse Gruppen war, wird zunehmend interessanter", sagt er zum STANDARD. Das Sonnwendviertel sei von Anfang an mit einem gewissen Branding versehen worden, nämlich jung, urban und modern. Es gebe auch viele geförderte Wohnungen für Familien.

Das Interesse an der neuen Gegend führe aber unweigerlich auch dazu, dass Dynamiken in Gang gesetzt werden, die Regionen in Innerfavoriten verändern. So sei es nicht auszuschließen, dass dort die Mietpreise in den kommenden Jahren weiter ansteigen. "Eine bekannte Entwicklung, Stichwort Gentrifizierung", so Diebäcker. Das wiederum erzeuge aber Druck auf leistbares Wohnen für ärmere Schichten, die in am Sonnwendviertel angrenzende Quartiere wohnen.

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Innovative Wohnprojekte

Zu Fuß erreicht man es von der CEU in weniger als zehn Minuten. Es handelt sich um ein Stadterweiterungsgebiet südlich vom Hauptbahnhof auf dem ehemaligen Gebiet des Südbahnhofs samt Frachtenbahnhof. Im Zentrum des 34 Hektar umfassenden hauptsächlich für Wohnbauten, aber auch für zwei Studentenwohnheime genutzten Gebiets befindet sich der Helmut-Zilk-Park. Insgesamt werden rund 5500 Wohnungen errichtet.

Darunter sind Projekte von Baugruppen, die Wert auf gemeinschaftlich genutzte Flächen, etwa Kinderspielräume oder Küchen, legen. Einige von ihnen östlich des Helmut-Zilk-Parks wurden kürzlich bezogen. Am vergangenen Wochenende öffneten sie im Rahmen der Veranstaltung Open House ihre Türen. Die Baugruppe Gleis 21 will "das Dorf in die Stadt bringen". Geplant sind Kulturveranstaltungen, von denen das ganze Grätzel profitieren soll. Am Grünen Markt war ursprünglich im Erdgeschoß die Errichtung einer Markthalle geplant, doch sie steht momentan noch leer.

Neues Grätzl-Treff?

Die Projekte befinden sich allesamt in einer autofreien Zone entlang der Bloch-Bauer-Promenade. Die Autos werden in Garagen am Rand der Wohnzonen abgestellt. Um das Gebiet mit Öffis erreichbar zu machen, wird die Linie D vom Hauptbahnhof verlängert. Zwar auf einer ganz anderen Ebene als bei der CEU, aber Internationalität steht auch im Sonnwendviertel im Vordergrund: Im Gleis 21 gibt es einige Wohnungen für anerkannte Flüchtlinge. Auch im Projekt Grüner Markt ist die Gemeinschaftsbibliothek der Bewohner noch im Aufbau begriffen, Kisten ausräumen und Bücher einordnen heißt es also da wie dort.

Ob es zwischen der Uni und den Bewohnern in- und außerhalb des Sonnwendviertels zu einem Austausch kommt oder man eher nebenher lebt, wird sich in den nächsten Monaten weisen. Ein Grätzl-Treff könnte jedenfalls das von außen einsehbare Uni-Café im Erdgeschoss werden, denn das wird auch für Passanten geöffnet sein. Derweil warten dort noch aufeinandergestapelte Holzsessel auf die Ankunft der Studenten und Professoren. (Rosa Winkler-Hermaden, Vanessa Gaigg, 18.9.2019)