Verkehrsexpertin Lydia Ninz im Gastkommentar über den Skandal im Dieselskandal: das komplette Versagen von Behörden und Politik bei der Aufarbeitung.

Vier Jahre seit seinem Auffliegen ist der VW-Abgasskandal zu einer gigantischen Lawine angewachsen, die längst andere Konzerne wie Mercedes, Opel, BMW, Fiat-Chrysler und Bosch erfasst hat. Der Skandal im Skandal ist aber das komplette Versagen von Behörden und Politik bei der Aufarbeitung. Vier kostbare Jahre wurde versäumt, die entstandenen Umweltschäden zu reparieren. Die Software-Updates bringen wenig bis gar nichts zur Verringerung der Abgase und sind nach Ansicht des Oberlandesgerichts Düsseldorf obendrein auch noch illegal. So blieben Gesundheit der Menschen und Verbraucherschutz auf der Strecke. Trotz der juristischen Verzögerungstaktik der Täter fangen die Zähne der Justiz langsam an zu beißen! Es liegt jetzt auch in den Händen der geschädigten Käufer, sich zu wehren, auch wenn der Weg mühsam ist.

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Neuwagen stehen wie Blei auf Halde, die Käufer sind verunsichert. Die Autoindustrie hat es noch nicht geschafft, den Vertrauensverlust zu kompensieren.
Foto: REUTERS/Rafael Marchante

Manipulationen und Rückrufe

Was mit weltweit elf Millionen manipulierten Dieselautos des VW-Konzerns (VW, Audi, Skoda und Seat) im September 2015 begonnen hatte, weitete sich im letzten Jahr definitiv aus. Der schwarze Rabe war die einstige VW-Vorzeigetochter Audi: Im Oktober 2018 wurde Audi zu 800 Millionen Euro Strafzahlung an den Freistaat Bayern verurteilt, dito Porsche mit 47 Millionen Euro. Erst ab November vorigen Jahres folgte auch in Europa der zwangsweise Rückruf von 150.000 großen Drei-Liter-Audis der neueren Abgasklasse Euro 6, die in den USA schon zwei Jahre früher zurückgerufen worden waren. Spätestens mit der Anklage des Ex-Audi-Chefs Rupert Stadler war einer breiteren Öffentlichkeit klar, dass Audi offensichtlich sogar nach Platzen des VW-Skandals noch zwei Jahre lang manipulierte Autos verkauft und Behörden und Käufer an der Nase herumgeführt hat.

Auch um Daimler-Mercedes zog sich die Schlinge zu, wobei der Konzern stets energisch jedwede Manipulation bestritten hatte. Im September vor einem Jahr mussten die ersten Nutzfahrzeuge wegen illegaler Abschalteinrichtungen zurückgerufen werden (V-Klasse, Vito, GLC), im Jänner, Juni und Juli 2019 folgten weitere Zwangsrückrufe. Allein in Österreich sind bis dato 30.000 Mercedes zwangsläufig und weitere 20.000 freiwillig zurückgerufen worden. Das Besondere: Mercedes fügt sich zwar den Rückrufordnungen des deutschen Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), aber bekämpft sie gleichzeitig vor Gericht. Auch Opel, BMW mussten Pkws wegen zu hoher Abgaswerte zurückrufen und in den USA mussten Bosch und Fiat Chrysler nach Sammelklagen wegen manipulierten Autos 696 Millionen Euro (FC) beziehungsweise 114 Millionen Euro (Bosch) für einen Vergleich hinblättern.

Eigenes Auto prüfen

Wahrscheinlich haben Sie von diesen Rückholungen kaum etwas gehört. Kein Wunder, denn informiert wurden die Betroffenen kaum. Auf der Website des Verbraucherschutzvereins (VSV) unter www.klagen-ohne-risiko.at, können Sie erfahren, ob auch ihr Auto betroffen ist. Für die Audis wird dabei die Möglichkeit geboten, sich als Privatbeteiligte anzuschließen, für Mercedes läuft eine Sammelaktion.

Die für ganz Europa zuständige deutsche Zulassungsbehörde, das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), das den Dieselskandal völlig übersehen hatte, kam den mächtigen Konzernherrn aus Wolfsburg bei der Reparatur äußerst entgegen. Man schloss sich zunächst der falschen Rechtsmeinung des Konzerns an, wonach gesetzliche Grenzwerte nur im Labor und nicht auf der Straße einzuhalten seien. Bis das deutsche Oberlandesgericht Düsseldorf feststellte, dass sie natürlich nicht nur in Theorie, sondern auch in Realität einzuhalten sind! Vergessen wir nicht, dass diese gerichtliche Klärung nur auf konsequentes Betreiben einer NGO zustande kam, der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Deren Technikexperte Axel Friedrichs war es auch, der mithilfe umfangreicher Straßentests als Erster bewies, dass diese Software-Updates bei der Senkung der Abgase wenig bis gar nichts bringen.

16 Sammelklagen

Offiziell bestätigt wurden seine Ergebnisse soeben durch das deutsche Umweltbundesamt. Demnach stoßen manipulierte Diesel-Pkws der Abgasklasse Euro 5 im Schnitt 950 Milligramm/Kilometer Abgas (Stickoxid, NOX) aus statt der gesetzlich erlaubten 180 mg/km! Mit dem Update fallen sie um 25 Prozent auf 780 mg/km, sind also noch immer weit über dem gesetzlich erlaubten Grenzwert! Die einzige Möglichkeit, diese Autos wesentlich sauberer zu machen und ihren Wertverfall zu stoppen sind Hardware-Nachrüstungen. Es ist nicht einzusehen, warum es solche nicht auch in Österreich geben soll – auf Kosten der Hersteller, wie schon in Deutschland. Der verflossene Verkehrsminister Norbert Hofer hatte sie jedoch als wenig sinnvoll abgelehnt. Konsequenz: Allein durch Euro-5-Diesel-Pkws mit zu hohen Abgasen wird Österreichs Luft mit 7.299 Tonnen mehr Stickstoffoxid belastet – Jahr für Jahr!

In Österreich laufen 16 Sammelklagen des VKI für 10.000 VW-Käufer, 7.500 Geschädigte hat Cobin Claims gesammelt und an die 2.500 Geschädigte klagten individuell. In Braunschweig beginnt am 30. September die Musterfeststellungsklage mit rekordverdächtigen 438.000 Beteiligten, davon 1.100 aus Österreich und Südtirol, die sich mithilfe des Verbraucherschutzes dafür angemeldet haben. (Lydia Ninz, 18.9.2019)