Die am 12. November 1918 von der deutsch-österreichischen Nationalversammlung ausgerufene Republik Deutsch-Österreich musste am 10. September 1919 im Schloss Saint-Germain einen harten Friedensvertrag unterzeichnen. Am 4. Juni 1920 hatte sich das neu geschaffene Königreich Ungarn im Schloss Grand Trianon der gleichen Zeremonie zu unterziehen. Beide Staaten nahmen die jeweilige Unterzeichnung nur unter Protest ihrer Regierungen, Parlamente und Bevölkerungen vor, da die Vertragsbedingungen durchaus strafenden Charakter in sich trugen.

Die Position der Alliierten

Der Hauptvorwurf der fünf Alliierten und 24 Assoziierten Mächte an Österreich und Ungarn als Nachfolgestaaten und Rechtsnachfolger der Habsburgermonarchie lautete, dass ihre Regierungen in Wien und Budapest – stürmisch begrüßt vom österreichischen und ungarischen Volk – im Juli 1914 gemeinsam mit dem Deutschen Reich bewusst einen Krieg vom Zaun gebrochen hatten, der ganz Europa in einen Weltkrieg stürzte.

Ein weiterer Vorwurf betraf das Verhältnis Österreichs zum Deutschen Reich. Die deutsch-österreichische Nationalversammlung hatte am 12. November 1918, dem Tag der Ausrufung der Republik, den "Anschluss" an die Deutsche Republik beschlossen. Nach Verhandlungen des österreichischen und deutschen Außenministers Ende Februar und Anfang März 1919 in Berlin verdeutlichte der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau im "Rat der Zehn" der Pariser Friedenskonferenz jedoch, dass Österreich nicht einem "deutschen Block" beitreten dürfe, und ließ daher schon in den Friedensbedingungen für Deutschland festlegen, dass Österreich seine Selbstständigkeit nur im Einvernehmen mit dem künftigen Völkerbundrat verändern könne (Artikel 80). Während der Verhandlungen im Jänner 1920 wurde der ungarischen Delegation vorgehalten, dass Ungarn seit 1867 die preußische Politik, später den deutschen Imperialismus unterstützt habe.

Am 10. September 1919 wurde im Schloss Saint-Germain ein Friedensvertrag unterschrieben, der von Österreichs Regierung nur unter Protest angenommen wurde.
Foto: Gemeinfrei

Neue Staatsgrenzen ohne Rücksicht auf Minderheiten

Die jeweilige Aufteilung der ehemaligen österreichischen und ungarischen Reichshälfte der Habsburgermonarchie erfolgte durchaus zum Nachteil der österreichischen beziehungsweise ungarischen Bevölkerung. So verblieben von "Cisleithanien" nur 28 Prozent der Fläche und 23 Prozent der Einwohner innerhalb der Republik Österreich, während dem neuen Königreich Ungarn von "Transleithanien" lediglich 29 Prozent der Fläche und 38 Prozent der Einwohner überlassen wurden.

Das bedeutete, dass von den zwölf Millionen (Deutsch-)Österreichern der Habsburgermonarchie nur 6,3 Millionen in Österreich verblieben, von zehn Millionen Ungarn nur 6,8 Millionen im neuen Königreich. Auf die Zugehörigkeiten von Minderheiten wurde bei den Grenzziehungen keine Rücksicht genommen. Alle Nachfolgestaaten Österreich-Ungarns waren seit November 1918 mit Maximalforderungen an die Siegermächte herangetreten, die durchwegs leichtfertig über die Prinzipien des US-Präsidenten Woodrow Wilson hinweggingen, der schon im Februar 1918 gegenüber Italien von "clearly recognizable lines of nationality" gesprochen hatte.

Obwohl die tschechischen, rumänischen, südslawischen und italienischen Politiker und Diplomaten ihre Forderungen zum Teil auf fragwürdige statistische Daten und einseitige historische Begründungen stützten, verfügten die Alliierten durchaus über ausreichende juridische, historische, geografische und statistische Unterlagen, um sich ein konkretes Bild von der Lage in den umstrittenen Regionen zu machen. Allerdings ließen sie in ihre Entscheidungen machtpolitische, strategische und wirtschaftliche Argumente einfließen, die sie zu sehr einseitigen Beschlüssen veranlassten.

Staatskanzler Karl Renner (2. v. li.) verlässt die Verhandlungen mit dem ausgehandelten Vertrag unter dem Arm.
Foto: Gemeinfrei

Machtpolitik sorgte für einseitige Beschlüsse

So entschieden sie in der Frage der Zugehörigkeit Nordböhmens und Nordmährens – entgegen den Wünschen der deutschsprachigen Bevölkerung – nach der Überlegung, dem Deutschen Reich keinen Gebietserwerb zuzulassen, und beließen die alte Grenze zwischen den böhmischen Ländern und Deutschland. In der Frage der Abgrenzung der Slowakei zu Ungarn erschien ihnen die neue Grenze an Donau und Eipel aus strategischen Gründen erforderlich. Hinsichtlich der neuen Westgrenze Rumäniens glaubte vor allem die französische Politik Rumänien als Bollwerk gegen den Bolschewismus unterstützen zu müssen.

In der Grenzfindung zwischen Österreich und Jugoslawien gab es unter dem Einfluss Wilsons einen Kompromiss, der das Marburger Becken an Jugoslawien anschloss, das Klagenfurter Becken – allerdings erst nach einer Volksabstimmung 1920 – bei Österreich beließ. Hingegen setzte Italien gegenüber Österreich und Jugoslawien im Wesentlichen seine im Londoner Vertrag von 1915 seitens der Entente erhaltenen Zusagen für den Kriegseintritt gegen Österreich-Ungarn durch. Streit gab es lediglich um die Hafenstadt Fiume/Rijeka, die freilich eine italienische Bevölkerungsmehrheit aufwies. Kompromisse gab es schließlich bei der Teilung des Banats zwischen Rumänien und Jugoslawien sowie 1921 bei der Abtretung Westungarns an Österreich nach einer Abstimmung in Ödenburg/Sopron und Umgebung.

Das Staatsgesetzblatt, mit dem die "Republik Deutsch-Österreich" infolge des Friedensvertrags zur "Republik Österreich" wurde.
Foto: Gemeinfrei

Finanzielle und wirtschaftliche Bürden auferlegt

Mit Mühe gelang es der österreichischen Friedensdelegation, die ursprüngliche Forderung abzuwehren, Italien, Jugoslawien, Rumänien, Polen und der Tschechoslowakei das Recht auf entschädigungslose Enteignung von Vermögen österreichischer Staatsbürger und Gesellschaften einzuräumen. Dennoch wurden Österreich und Ungarn schwere finanzielle und wirtschaftliche Bürden aufgelastet, der Reparationskommission ein Generalpfandrecht auf alle Vermögenswerte eingeräumt.

Alle Nachfolgestaaten erwarben auf ihrem Gebiet sowohl alle bisherigen Staatsgüter als auch alle Krongüter und das Privatvermögen der ehemaligen Herrscherfamilie. Österreich hatte zwei Drittel der Kriegsanleihen und 37 Prozent der nichttitulierten Auslandsschulden zu übernehmen, außerdem an Jugoslawien, Rumänien und Italien mehr als 10.000 Stück Vieh sowie tausende Pferde, Schweine und Schafe abzuliefern. Ungarn sollte 28.000 Stück Vieh an Italien, Jugoslawien und Griechenland liefern, außerdem bis September 1926 täglich 880 Tonnen Steinkohle.

Die beiden Friedensverträge ließen viele Probleme ungelöst, vor allem viele Grenzfragen und Minderheitenprobleme in allen Nachfolgestaaten, aber auch die Frage der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den "Siegern" und "Verlierern". Insgesamt ist daher dem Urteil der britischen Historikerin Zara Steiner zuzustimmen: "The treaties with Austria, Hungary, and Bulgaria were far harsher and more vindictive than the one with Germany. The Austrian und Hungarian settlements were punitive in the extreme." (Arnold Suppan, 19.9.2019)