Gerissen, gefürchtet, unbeugsam – so sieht sich Avigdor Lieberman, der einstige Immigrant, der schon israelischer Infrastruktur-, Transport-, Geheimdienst-, Außen- und, zuletzt, Verteidigungsminister war, am liebsten beschrieben. Ein "Russe", wie seinesgleichen mitunter abschätzig genannt werden, der es zum Minister bringt, für den Nationalisten ist derlei Aufstieg ein Beweis für die Integrationskraft des jüdischen Staates.

Am Ende der Karriereleiter angekommen sieht sich Lieberman, der Ehrgeizige, freilich noch lange nicht. Die höchsten Weihen im Staate Israel dürften dem 61-Jährigen aber wohl auch nach der Wahl vom Dienstag verwehrt bleiben. Dann eben Königsmacher.

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Will aus dem Schatten treten: Avigdor Lieberman.
Foto: REUTERS/Oren Ben Hakoon

Wie viele seiner Wähler ist Lieberman ein Homo sovieticus, aufgewachsen im jüdisch-säkularen Milieu von Chişinău im heutigen Moldawien, wo sich der Antisemitismus zwei Generationen vor seiner Geburt in mörderischen Pogromen entlud. Danach hatte Stalin seinen Vater, der Schriftsteller war, drangsaliert.

1978 wanderte der Landwirtschaftsstudent, der zwar nicht Hebräisch, wohl aber Jiddisch sprach, nach Israel aus, nannte sich fortan nicht mehr Ewet, sondern Avigdor, diente im umkämpften Hebron und schrieb sich an der Hebräischen Universität Jerusalem ein: die Biographie eines Aufsteigers.

Kaum in seiner neuen Heimat angekommen, machte er sich rasch mit deren extremen Blüten gemein. Lieberman, der später öffentlich die Enthauptung "illoyaler" arabischer Israelis forderte und die harte Hand Wladimir Putins gegenüber Islamisten lobte, ging als Student keiner Schlägerei mit arabischen Kommilitonen aus dem Weg, arbeitete nebenbei als Türsteher und schlug seine Zelte schließlich in Nokdim auf, einer jüdischen Siedlung nahe Jerusalem. Bis heute wohnt er dort in einem – für Ministerverhältnisse – bescheidenen Haus.

Die Entfremdung

1993, Lieberman hatte kurz zuvor im konservativen Likud auch eine politische Heimat gefunden, entdeckte der frischgebackene Parteichef Benjamin Netanjahu das Talent des Mannes mit der Boxerstatur, der gelernt hatte, sich durchzuschlagen. Vier Jahre währte die Männerfreundschaft; Lieberman diente Netanjahu in Partei wie in Premiersamt; der ließ ihn schließlich fallen, als seine Position konsolidiert war.

1999 gründete Lieberman, der Enttäuschte, seine eigene Partei, Jisra'el Beitenu (Unser Haus Israel), ein Sammelbecken rechter, nichtreligiöser, meist russischstämmiger Israelis – und kultivierte seinen Ruf als raubeiniger Hardliner, der zu Koalitionen zwar allzeit bereit ist, diese aber ebenso schnell wieder platzen lässt. 2006 verließ er die Regierung Ariel Sharons nach der Aufgabe des Gazastreifens, 2008 jene Ehud Olmerts aus Protest gegen Zugeständnisse Israels an die Palästinenser. Erst im Vorjahr schließlich zerbrach sein Bündnis mit Netanjahu, offiziell wegen dessen "zu laxen" Vorgehens gegen die Hamas-Terroristen.

Besser noch als seine Kontrahenten vermochte Lieberman über die Jahre seine Kernzielgruppe bei der Stange zu halten. Auch wenn sein Licht nicht mehr so zu strahlen vermag wie vor zehn Jahren noch, als es Jisra'el Beitenu auf 15 der 120 Sitze in der Knesset brachte, polarisiert der Name Lieberman bis heute verlässlich. Seit der ersten Wahl in diesem Jahr im April hat die Partei sich an Sitzen verdoppelt, waren es damals gerade einmal vier, sind es künftig neun.

Platz an der Sonne

Denn der Aufsteiger will stets auch gefallen – vor allem den Ex-Sowjetbürgern, die sich von der rigiden Moral der Ultraorthodoxen drangsaliert fühlen und sich, anders als ebenjene, ihren Platz an der Sonne erst mittels Militärdienst erkämpfen mussten. Obwohl ihn Zeit seiner Karriere Korruptionsgerüchte verfolgten, gilt er ihnen – jedenfalls im Vergleich zu seinem Antipoden Netanjahu – als ehrlicher Makler ihrer Interessen.

Die Verve des Vaters dreier Kinder gegen die Frommen, deren politisches Gewicht auch vielen liberalen Israelis gegen den Strich geht, hat die nationalistische Partei für Wähler geöffnet, für die Lieberman, der Ultra, zuvor lange ein rotes Tuch war. Auch deshalb geht ohne den einstigen Rausschmeißer im Staate Israel derzeit nichts mehr. (Florian Niederndorfer, 18.9.2019)