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Die Polarstern ist bereit.
Foto: Reuters/Scanpix/Rune Stoltz Bertinussen

Bern – Was für die meisten früheren Polarforscher eine Albtraumvorstellung gewesen wäre und der unter einem Unstern stehenden Franklin-Expedition von 1845 zum Verhängnis wurde, wollen Forscher unter Leitung des Bremerhavener Alfred Wegener Instituts (AWI) nun mit voller Absicht tun: nämlich sich vom Eis umschließen lassen. Rund ein Jahr lang werden sie sich dann gefangen im Meereis über den Arktischen Ozean treiben lassen und dabei Daten sammeln.

Mammutprojekt

Es soll die größte Arktis-Expedition aller Zeiten werden: mit einem Budget von über 140 Millionen Euro, rund 600 Fachleuten und 300 Helfern aus 19 Nationen, die auf dem Forschungsschiff Polarstern mitfahren oder im Hintergrund am Projekt beteiligt sind. Etwa ein Jahr lang soll die Mosaic-Expedition dauern, dabei wird das Schiff zwei bis drei Monate lang auf einer Distanz von nur etwa 200 Kilometern am geografischen Nordpol vorbei driften.

Damit dringt die Expedition in ein Gebiet vor, in das von Februar bis Juni nicht einmal Eisbrecher ihren Weg bahnen können, weil das Eis zu dick ist. Die Polarstern soll einen Großteil der Expedition ohne eigenen Antrieb mit dem Meereis driften, im Mittel sieben Kilometer pro Tag.

Inspiriert ist das Projekt von der Expedition des Norwegers Fridtjof Nansen vor 126 Jahren. Mit dem eigens für diesen Zweck verstärkten Segelschiff Fram ließ er sich vom Eis umschließen – in der Hoffnung, so zum Nordpol getrieben zu werden. Das war jedoch nicht der Fall, und auch per Skiern und Schlitten konnte er den Pol nicht erreichen – stellte aber immerhin einen neuen Rekord in Sachen Annäherung auf.

Die ersten Schritte

Am Freitag bricht das Forschungsschiff Polarstern vom norwegischen Tromsø in Richtung sibirische Küste auf, wo das arktische Meereis entsteht. Dort soll sich das Schiff von Eis umschließen lassen. An eine mindestens 1,5 Meter dicke und weitläufige Eisscholle angedockt, wird die Polarstern dann mit der sogenannten Transpolardrift reisen – auch durch die 150 Tage dauernde Polarnacht bei Temperaturen bis zu minus 45 Grad Celsius.

Auf dem umgebenden Packeis sollen ein Basiscamp, ein Netz von Messstationen und eine Landebahn für Versorgungsflugzeuge entstehen. Während der Arbeit auf dem Eis werden die Wissenschafteraußerdem von mehreren "Eisbär-Wächtern" beschützt. Während mehrerer Phasen der Expedition werden insgesamt 300 Forscher an Bord und auf der Eisscholle arbeiten, um Daten zu sammeln.

Hintergrund

Die Mosaic-Forscher wollen die Wechselwirkungen zwischen Atmosphäre, Ozean, Meereis, Biogeochemie und Ökosystem im Verlauf eines vollen Jahreszyklus untersuchen. Ziel der Expedition ist es, das arktische Klimasystem besser zu verstehen und damit Klimamodelle zu verbessern. Die Bezeichnung Mosaic steht eigentlich für "Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate". Klimaprojektionen für die Arktis sind aufgrund von Wissenslücken mit besonders großen Unsicherheiten verbunden, die die Mosaic-Expedition zu verkleinern versucht. Dies ermöglicht genauere Vorhersagen über die Klimaerwärmung und ihre Folgen.

Und die Arktis erwärmt sich im Zuge des Klimawandels besonders stark – mit globalen Auswirkungen. Spürbar wird die Erwärmung der Polarregion beispielsweise durch Stockungen des Jetstream, einer wellenförmigen Luftströmung, die die Nordhalbkugel umspannt und die Wetterlage beeinflusst. Mit abnehmender Temperaturdifferenz zwischen der Arktis und den Tropen verharrt der Jetstream immer häufiger in großen Schleifen. Wetterlagen wie Trockenheit, Regen oder Kältewellen bleiben deshalb länger bestehen. (red, APA, 19. 9. 2019)