Schule kann auch anstrengend sein. Die Lehrpläne werden gerade auf Vordermann gebracht, jetzt braucht es in den kommenden Jahren nur noch genügend Lehrkräfte, die damit arbeiten.

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Den Sommer hat er dringend zur Erholung gebraucht. So richtig zäh wurde das Schuljahr nämlich schon zu Beginn des zweiten Semesters. Jetzt ist er mit seinen 21 Jahren einer der jüngsten Exlehrer der Republik. Das Lehramtsstudium für Mathematik und Geometrie hat er an den Nagel gehängt.

Der Name des jungen Mannes, von dem hier die Rede ist, soll mit Rücksicht auf das Gymnasium, an dem er bis zum Sommer ein spontanes Praxisjahr eingelegt hat, anonym bleiben. Dass es dazu überhaupt kam, liegt an seinem Fachgebiet: Weil es in Geometrie zu wenig Lehrkräfte gibt, "wurde ich nach dem zweiten Semester gefragt, ob ich für ein Jahr eine Karenzvertretung übernehmen kann", erzählt der Frühstarter unter den Pädagogen. Sechs Klassen, 14- bis 17-jährige Schülerinnen und Schüler.

Roland Witzemann steht am anderen Ende des Lehrerlebens. Im Jahr 2018 wurde der Vorarlberger 65 Jahre alt – im Ruhestand ist er immer noch nicht: "Ich habe ganz normal einen Pensionsantrag gestellt. Kaum hatte ich die Bestätigung in der Hand, kam der Anruf, ob ich nicht weitermachen will." Seither steht er fünf Stunden pro Woche – jeweils montags – in der Volksschule Bildstein mit gerade einmal 26 Kindern. Dass es einen Lehrermangel gibt, hört Witzemann vielfach in der Kollegenschaft: "Da gibt es ein richtiges Gerangel um Lehrkräfte."

Behelfslösungen

Lehrermangel macht kreativ. Oder muss kreativ machen. Behelfslösungen wie Sonderverträge, etwa für Studierende, sind kein neues Phänomen. Oder Kolleginnen und Kollegen am Schulstandort leisten Überstunden, um keine Lücke entstehen zu lassen.

Österreichs Lehrkräfte sind in die Jahre gekommen, zeigt auch ein OECD-Vergleich. An den Volksschulen sind rund 38 Prozent der Unterrichtenden 50 Jahre alt oder älter. In der Unterstufe haben rund 48 Prozent der Lehrkräfte die 50er-Marke bereits überschritten, in der Oberstufe beträgt ihr Anteil 45 Prozent.

Blick nach Wien: 375 Lehrkräfte in den Volks- und 406 in den Mittelschulen sind hier über Sonderverträge beschäftigt. Engpässe gebe es trotzdem keine, betont man in der Bildungsdirektion. An einzelnen Volksschulen werden aber noch Lehrkräfte gesucht. Zu Schulbeginn habe es fehlende Stellen beim Mädchensport und Musik gegeben – "kurzfristigen Ausfällen" geschuldet.

Die Personalvertretung sieht das anders: "Betroffen ist vor allem der Volksschulbereich. Viele wandern in andere Bundesländer ab. Fast jeden Tag quittiert jemand den Job. Einmal waren es 25 an einem Tag", sagt Wiens oberster Personalvertreter für die Pflichtschulen, Thomas Krebs. Erschreckend sei auch, dass "g'standene Lehrkräfte aufhören". Die Erwartungen an die Politik sind gedämpft: "Man hört viele Plattitüden. Alle wollen ein tolles Schulsystem. Auf diese Lippenbekenntnisse müssten Taten folgen."

Fehlende Unterstützung

Im Wahlkampf hat es das Thema Bildung nicht nach vorn geschafft. Mit zwei Ausnahmen: Neos und ÖVP. Die Pinken sind bereits bei ihrer Gründung mit dem Vorhaben angetreten, dem Schulsystem "die Flügel heben" zu wollen. Die Türkisen versuchten es über das Kopftuchverbot. Das solle, kaum ist die entsprechende Regelung für Volksschülerinnen in Kraft, ausgeweitet werden – und künftig für die gesamte Unterstufe und für Lehrerinnen gelten. Lehrpläne, soziale Durchmischung, Personalnot? In diesem Wahlherbst inexistent.

Was die Unterversorgung mit Lehrkräften für den Schulalltag bedeuten kann, zeigt das Beispiel einer Wiener Volksschule. Rund 23 Kinder sitzen hier in einer Klasse. Deutschkenntnisse sind oft mangelhaft, meist fehlt die elterliche Unterstützung. "Wir kämpfen mit Gegebenheiten, die meine Kolleginnen an den Rand bringen. Es ist einfach zu viel", sagt die Direktorin, die lieber anonym bleiben will. Bevor es ums Lesen und Schreiben gehe, müssten soziale Probleme abgefangen werden. Aber, sagt sie: "Das kann eine Schule wie unsere in den vier, fünf Stunden pro Tag nicht bewältigen. Und es geht schon gar nicht, wenn wir in Großgruppen unterrichten müssen." Es bräuchte mehr Unterstützung – auch von Sozialarbeitern oder Psychologen.

Für Personalvertreter Krebs steht man "knapp vor dem Kollaps". Es gebe Klassen, in denen eigentlich freigestellte Direktoren unterrichten. Oder es teilen sich Teilzeitkräfte eine Klasse, weil eine Vollzeitkraft fehlt. Krebs: "Das sind Notlösungen, die längst Standard geworden sind."

Im Ruhestand

In Tirol hilft man sich mit ein wenig Strenge. Nicht im Umgang mit den Schülerinnen und Schülern, sondern was die Großzügigkeit bei Ansuchen für Karenzierungen oder Teilzeitbeschäftigungen anlangt. "Wir haben fast jede Woche fünf bis zehn Pensionierungsbescheide", berichtet Bildungsdirektor Paul Gappmaier dem STANDARD. Bis Jahresende rechnet man mit 300 Lehrkräften, die sich in den Ruhestand verabschieden. Da habe man rechtzeitig gegensteuern müssen. Dass auf der anderen Seite zu wenige junge Lehrkräfte nachkommen, liege an der neuen Lehrerausbildung, die auf mindestens fünf Jahre verlängert wurde. "Theoretisch könnten die Absolventen gleich nach dem Bachelor zu unterrichten beginnen", sagt Gappmaier. In der Praxis hängen die meisten allerdings einen Masterabschluss dran: "Die fehlen uns im Moment."

Für den Junglehrer, der an einem Gymnasium aushalf, lief anfangs alles ganz gut. Fachlich habe er sich "nie überfordert gefühlt", bei den Schularbeitsaufgaben habe ihn die Kollegin, für die er eingesprungen ist, unterstützt. Erst als eine weitere Kollegin erkrankte und er, der Musikfan, daraufhin deren Musikklassen übernehmen musste, wurde ihm das Unterrichten ohne pädagogisches Rüstzeug zu viel. Und wann wird der Vorarlberger Lehrer Witzemann aufhören? Dazu sagt er nur: "Wie lange noch? Also diese Frage habe ich mir noch nie gestellt." (Peter Mayr, Karin Riss, 19.9.2019)