Er wolle nicht über eine gemeinsame Regierung diskutieren, solange Benjamin Netanjahu (rechts) noch an der Likud-Parteispitze steht, verkündete Herausforderer Gantz (links) wiederholt.

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Jerusalem – Nach der Parlamentswahl in Israel hat Premierminister Benjamin Netanjahu einen bemerkenswerten Strategiewechsel vollzogen: Der Chef der konservativen Likud-Partei rief seinen Rivalen Benny Gantz von der Mitte-rechts-Partei Blau-Weiß zur Bildung einer breiten Einheitsregierung auf, weil er die eigentlich angestrebte rechtsgerichtete Regierung nicht bilden könne. Gantz, der von Netanjahu in den vergangenen Wahlkampfmonaten als "links" und "schwach" diffamiert worden war, lehnte das Angebot am Donnerstag umgehend ab.

"Wir werden in keine von Netanjahu angeführte Koalition eintreten", sagte einer der ranghöchsten Vertreter von Gantz' Bündnis Blau-Weiß. Netanjahu erklärte, er sei "überrascht und enttäuscht" von der Zurückweisung. Er bleibe jedoch für Gespräche offen.

Gantz beanspruchte den Posten des Regierungschefs für sich. Er wolle eine Einheitsregierung bilden und anführen, sagte er. Seine Partei habe die Wahl gewonnen und liege nach derzeitigem Stand mit 33 Parlamentssitzen vorne. Zu Gesprächen mit dem Likud-Block zeigte sich Gantz wiederholt bereit – unter der Bedingung, dass Netanjahu nicht mehr an dessen Spitze steht.

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Patt bei Wahl

Netanjahu hatte am Donnerstag mit einer Videobotschaft versucht, Gantz von einer gemeinsamen Koalition zu überzeugen, als deutlich wurde, dass er bei der Wahl am Dienstag nicht genug Stimmen für die von ihm angestrebte Regierung aus dem rechten und religiösen Lager bekommen hat.

Nach der Wahl zeichnet sich wie schon im April ein Patt zwischen Netanjahus Likud und dem Bündnis Blau-Weiß von Gantz ab. Beide dürften aber Schwierigkeiten haben, eine Koalition mit dem eigenen Lager auf die Beine zu stellen.

Korruptionsvorwürfe

Netanjahu droht zudem weiterhin eine Anklage in drei Korruptionsfällen wegen Betrugs, Bestechlichkeit und Untreue. Er hat immer wieder beteuert, selbst im Fall einer Anklage weiterregieren zu wollen. Fraglich ist aber, ob seine eigene Partei ihn als Chef weiterhin tragen wird – gerade jetzt, da es ihm nicht gelungen ist, den Likud zur stärksten Kraft im Parlament zu machen. Netanjahu war bereits im Mai mit der Regierungsbildung gescheitert, weswegen Neuwahlen ausgerufen wurden. Das Land ist gespalten, die Fronten verhärtet.

Ins Spiel gebracht hatte die Idee einer Einheitsregierung Königsmacher Avigdor Lieberman – lange vor der Wahl. Der Chef der Partei Jisra'el Beitenu (Unser Haus Israel) gilt als großer Gewinner der Neuwahlen: Er kommt nach aktuellem Stand auf neun Sitze, knapp doppelt so viele wie noch im April. Lieberman plädiert deshalb für eine große Koalition mit Likud und Blau-Weiß. (red, APA, 19.9.2019)