Harzsammler bei der Arbeit: Johanna Kandl schöpft die Szenen, die sie malt, aus weltweiten Recherchereisen.

Foto: Belvedere Wien/Johannes Stoll

Cochenilleschildläusen sind eigentlich Schädlinge. Bauern legen Säckchen mit Larven aber extra auf Kakteen, um diese Läuse später ernten zu können. Die rote Koschenille-Farbe wird nicht nur zum Malen, sondern auch zum Färben von Lebensmitteln verwendet.

Foto: Belvedere Wien/Johannes Stoll

Im Sudan besuchte Kandl Frauen, die in Fabriken für Gummi Arabicum arbeiten.

Foto: Belvedere Wien/Johannes Stoll

Werke von Lassnig, Krystufek, Kolo Moser oder Martin Kippenberger – ein ganzer Schwung fremder Künstler empfängt in der Schau von Johanna Kandl im Unteren Belvedere die Besucher. Die Bilder hängen ohne Titel und Künstlerangaben, dafür sind an die Rückseite der Wand zwei Tafeln gebunden. Die eine erklärt Leim – dass er aus tierischen Knochen oder Knorpeln hergestellt wird und es auch welchen aus Fischgräten und Kaninchenhaut gibt. Die andere erklärt Lein oder Flachs – der für Leinwand als auch Öl Grundstoff ist.

Material. Womit gemalt wird und warum heißt die Schau und erklärt, woher die Pinsel und Farben kommen, mit denen Künstler täglich zu tun haben. Dem Wissen um diese Materialien geht Johanna Kandl auf weiten Reisen nach.

Halb Kunst, halb Infografik

Der Sudan ist etwa der wichtigste Produzent von Gummi Arabicum, einem Mischmittel für Pigmente. Gewonnen wird es aus stachligen Akazien, wird deren Rinde eingeschnitten, tritt der Saft aus und gerinnt zu Klumpen. 2015 besuchte Kandl die Fabriken, wo es verarbeitet wird. Wie in Tagebucheinträgen erzählt sie davon, und sie hat Bilder davon gemalt. Halb sind das Kunstwerke und halb sind es Infografiken. Über Szenen von Frauen, die das Gummi-Pulver in Säcke füllen, ist eine Landkarte des Sudan mit Abbauorten aufgeschlagen.

Der Kolonok ist ein sibirischer Marder, zu ihm reiste Kandl im März 2018 ins eiskalte Jakutsk. Das Interesse der Künstlerin rührt auch aus einem sozialen Bewusstsein. Denn es sind Menschen in zumeist strukturschwachen Ländern, die mühsam Erde umgraben, um ihren Lebensunterhalt mit roter Erde zu verdienen. Weil diese Produkte seit Jahrhunderten aus dem Wald oder vom Feld kommen, erkennt Kandl daran die ökologische Dimension: man kann die Natur wirtschaftlich nutzten, ohne sie dafür zu zerstören.

Alle Farben des Regenbogens

Mineralien in allen Farben des Regenbogens kommen aus dem Naturhistorischen Museum, im Kammergarten zieht Kandl Pflanzen, die für Malmittel eine Rolle spielen. Die Arbeit in einer modernen Mine zeigt eine Videoinstallation. Das ist lehrreich. Damit die Kunst nicht zu kurz kommt, hängen flankierend zu jeder Station Referenzwerke aus der Sammlung des Belvedere von Waldmüller bis Nitsch, aus der Akademie hat man sich gar einen Botticelli ausgeborgt. Die Schau ist ein Beipackzettel zu sich selbst – und auch zu jeder anderen Ausstellung. (Michael Wurmitzer, 19.9.2019)