Tepco will künftig Touristen in sein havariertes Atomkraftwerk locken, um das Image der Region Fukushima aufzupolieren.

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Eine Überraschung war es nicht: Ein Bezirksgericht in Tokio hat drei Ex-Topmanager des Stromriesen Tepco in Zusammenhang mit der Fukushima-Katastrophe freigesprochen. Damit gibt es weiter keinen strafrechtlich Schuldigen für den größten zivilen Atomunfall seit Tschernobyl. Der zweijährige Prozess drehte sich um die Frage, ob die Havarie im AKW Fukushima Daiichi im März 2011 hätte verhindert werden können.

Die Führungskräfte hatten eine Warnung vor der Möglichkeit eines starken Tsunamis erhalten, aber den Schutz des AKWs nicht verstärkt, sondern nur den Ingenieursverband um Stellungnahme gebeten. Die Manager waren wegen "professioneller Fahrlässigkeit mit Todesfolge" angeklagt. Sie hätten durch ihr Nichthandeln den Tod von 44 Menschen verursacht, darunter Patienten, die bei der Evakuierung eines Spitals starben. Außerdem seien sie für die Verletzung von 13 Menschen durch Wasserstoffexplosionen verantwortlich. Die Staatsanwälte forderten fünf Jahre Haft.

Vor Gericht hatten der 79-jährige Tsunehisa Katsumata, damals der Vorsitzende des Tepco-Verwaltungsrats, sowie die Ex-Vizepräsidenten Ichiro Takekuro (73) und Sakae Muto (69) erklärt, dass sie den massiven Tsunami, der die Kernschmelzen in drei Reaktoren verursachte, nicht vorhersehen konnten. Das Gericht folgte dieser Argumentation, die auch das Unternehmen Tepco bis heute benutzt. "Es wäre unmöglich, ein Atomkraftwerk zu betreiben, wenn die Betreiber verpflichtet wären, jede Möglichkeit eines Tsunamis vorherzusagen und die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen", begründete der vorsitzende Richter Kenichi Nagafuchi sein Urteil.

Aufschrei unter Betroffenen

Darüber empörte sich eine Zuschauerin noch im Gerichtssaal mit dem Aufschrei: "Unglaublich!" Eine andere Frau brach nach dem Urteil in Tränen aus. "Wir werden bis zu unserem Tode weiterkämpfen", schluchzte sie. "Hat dieses Gericht kein Gewissen?", klagte ein älterer Mann. Die Protestler waren teilweise aus Fukushima angereist.

Greenpeace-Sprecher Shaun Burnie sprach von einem Justizversagen. "Das Urteil ist keine Überraschung, weil ein Schuldspruch ein verheerender Schlag gegen Tepco, die Regierung von Shinzo Abe und die japanische Nuklearindustrie gewesen wäre", sagte Burnie in Tokio. Einer der Sprecher der Klägeranwälte, Yuichi Kado, betonte, dass der Prozess die Schuld der drei Manager vollkommen bewiesen habe. Daher gilt ein Revisionsverfahren als wahrscheinlich.

Unabhängige Beobachter hatten mit einem Freispruch gerechnet. Denn die reguläre Staatsanwaltschaft hatte zweimal den Antrag von 5700 Bürgern abgelehnt, einen Prozess zu eröffnen, da es nicht genug Beweise gebe und eine Verurteilung zweifelhaft sei. Jedoch hatte ein mit Laien besetzter Ausschuss vor vier Jahren ein Verfahren gegen die drei Männer angeordnet. Dem musste die Justiz folgen und ernannte zu diesem Zweck unabhängige Anwälte als Strafverfolger.

Mehr als zehn Meter hohe Welle

Die japanische Regierung hatte bereits 2002 davor gewarnt, dass in Fukushima ein Tsunami von bis zu 15,7 Metern möglich sei. Die Tepco-Führung erhielt diese Schätzung 2008 und reagierte darauf nicht, obwohl die Notstromaggregate und die Schalttafeln des AKWs nur wenige Meter über dem Meeresspiegel standen.

Doch das Erdbeben der Stärke 9,0 im Pazifik löste eine Tsunamiwelle von mehr als zehn Metern in Fukushima aus. Eine unabhängige Untersuchungskommission erklärte 2012 das nachlässige Verhalten von Tepco damit, dass die Atomindustrie sich selbst regulieren und überwachen durfte. Daher sei es ein "Desaster von Menschenhand" gewesen. "Wir entschuldigen uns erneut aufrichtig dafür, dass wir vielen Menschen, auch in der Präfektur Fukushima, große Schwierigkeiten und Sorgen bereitet haben", beteuerte das Unternehmen nach dem Urteil. Damals wurden 160.000 Menschen in Sicherheit gebracht, nur wenige tausend kehrten zurück. (Martin Fritz aus Tokio, 19.9.2019)