So in etwa könnte eine junge Denisova-Frau ausgesehen haben – also nicht viel anders als Neandertaler und moderne Menschen.
Illustration: Maayan Harel

Ein winzigkleiner Fingerknochen, drei Zähne und ein Unterkiefer: Vom Denisova-Menschen sind nach den bisherigen Funden, deren erste gerade einmal rund zehn Jahre alt sind, relativ wenige fossile Überreste vorhanden. Man weiß immerhin, dass er nicht nur in einer sibirischen Höhle, dem namensgebenden Ort der ersten Entdeckung, sondern in weiten Teilen Asiens verbreitet war und auch im Hochland von Tibet gelebt haben muss.

DNA-Vergleiche zeigten außerdem, dass von den Genen der vermutlich vor rund 40.000 Jahren ausgestorbenen Menschenart, einer Schwesterngruppe der Neandertaler, besonders viele in heutigen Bewohnern Melanesiens weiterleben. Die DNA des Unterkiefers wiederum legt nahe, dass schon vor etwa 160.000 Jahren eine genetische Anpassung an eine Höhe von 4.000 Metern und mehr gegeben war.

Bislang wurde noch kein Denisova-Schädel gefunden. Für die Rekonstruktion mussten die Forscher daher einen komplizierteren Weg einschlagen.
Foto: Maayan Harel

Der Urmensch könnte außerdem dazu beigetragen haben, dass der Mensch heute eine bessere Immunabwehr besitzt. Eine am Mittwoch veröffentlichte Studie im Fachmagazin "Nature Immunology" berichtete, dass moderne Menschen eine Genvariante des Denisova-Menschen besitzen, das eine Reihe von Immunreaktionen und Entzündungsreaktionen verstärkt – was uns besser vor krankheitserregenden Mikroben schützt.

Trotz der Rekonstruktion der Denisova-DNA wusste man bisher aber nicht, wie der Mensch dazu ausgesehen haben könnte. Diese Leerstelle im Bild unseres Verwandten konnte nun mit genetischer Detektivarbeit geschlossen werden: Forscher um die Paläoanthropologen Liran Carmel und David Gokham von der Hebräischen Universität Jerusalem haben aus DNA-Proben Aktivitätsmuster der Gene abgeleitet und so Aussagen über die sich daraus entwickelnden anatomischen Merkmale getroffen.

Ihr nicht ganz überraschendes Fazit: Die Denisovaner ähnelten in vielen Merkmalen Neandertalern, in manchen aber uns modernen Menschen – und wieder andere wiesen nur sie auf. Die Wissenschafter publizierten ihre Arbeit samt der dazugehörigen Rekonstruktionen in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals "Cell".

56 Unterscheidungsmerkmale

Die Forschergruppe identifizierte immerhin 56 anatomische Merkmale, die den Denisova-Menschen vom modernen Menschen oder vom Neandertaler unterschieden – 36 davon im Bereich des Schädels, der, so die Studienautoren, breiter als der des Neandertalers und des modernen Menschen war. Auch der Zahnbogen dürfte im Vergleich zu unserem verlängert gewesen sein.

Ihr neuer methodischer Ansatz – genetische Entwicklungsmuster unter den drei Menschengruppen in ihrer Auswirkung auf die Anatomie zu vergleichen – wurde von den Forschern vorab getestet: Sie trafen vorab aus Genaktivitätsmustern Vorhersagen über anatomische Merkmale, die aus dem Vergleich zwischen verschiedenen Arten bekannt sind – etwa von Schimpansen und Neandertalern. Etwa 85 Prozent der Vorhersagen trafen dabei zu, ein recht eindeutiges Ergebnis.

Wenn Schädelformen und andere morphologische Eigenschaften aus dem Fossilienbefund nicht direkt hervorgehen, dürfte somit eine ideale Methode gefunden worden sein, die anatomische Rekonstruktionen allein aufgrund der DNA möglich macht. (pi, 19. 9. 2019)