Österreich solle wieder für mehr Solidarität bei der Flüchtlingsaufnahme kämpfen und auch selbst mehr Menschen aufnehmen, fordert der grüne Listenerste Werner Kogler.
Foto: Christian Fischer

Eigentlich wäre Werner Kogler jetzt Abgeordneter im EU-Parlament. Kurz vor der Europawahl kam jedoch das Ibiza-Video, die Koalition platzte. Neuwahlen wurden ausgerufen. Kogler verzichtete auf sein EU-Mandat und startete gleich in den nächsten Wahlkampf. Er soll die Grünen nach der Wahlschlappe 2017 wieder zurück ins Parlament führen. Und glaubt man den Umfragen, dürfte das auch gelingen – wobei Spitzenkandidat Kogler von den guten Wahlprognosen lieber gar nichts hören will.

STANDARD: Sie sind in einem Konflikt: Je mehr Leute denken, dass die Grünen eh reinkommen, desto ungewisser wird Ihr Comeback. Wie viel Zeit verbringen Sie gerade damit, Menschen davon zu überzeugen, dass es eine Zitterpartie ist, obwohl dem nicht so ist?

Werner Kogler: Wir haben schon einmal erlebt, dass sich viele verspekuliert haben. Das soll nicht mehr passieren. Wir sagen: Gute Umfragen schaden uns. Wer die Grünen im Nationalrat haben will, soll grün wählen. Heute mehr denn je zuvor.

STANDARD: Die Klimakrise ist Top-Wahlkampfthema. Die Neos sagen, sie seien die Einzigen, die Klimaschutz mit Wirtschaft vereinbaren. Was setzen Sie dem entgegen?

Kogler: Ich bin sowieso von pinken Plakaten umzingelt, wo dauernd draufsteht "Machen nur wir". Das soll ein jeder selber beurteilen. Wenn das, was die Neos plakatieren, wirklich nur sie machen würden, dann würde ja einer absoluten Mehrheit der Neos nichts im Wege stehen. Wir Grüne haben jedenfalls seit Ende der Neunzigerjahre Konzepte zum Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter und dem Umstieg ins solare Zeitalter. Das ist alles mit Wirtschaftsforschern durchgerechnet.

STANDARD: Sebastian Kurz sagt, wenn Betriebe wie die Voest mit Ökosteuern belastet werden, wandern sie ab – und Jobs gehen verloren. Wie entkräften Sie das Argument?

Kogler: Das ist die glatte Unwahrheit. Die großen Energieintensiven werden bei diesen Umsteuerungen im Finanzbereich ja ausdrücklich im notwendigen Ausmaß ausgenommen. Natürlich sind wir auch dafür, dass die Stahlindustrie in Linz bleibt und die Veredelung im Mur-Mürz-Tal – einfach weil wir welthöchste Standards haben. Schwarz-Grün hat in Oberösterreich zwölf Jahre lang moderne Industriepolitik betrieben. Und Sebastian Kurz rennt herum und verbreitet diversen Unsinn – aber nicht, weil er's nicht besser weiß. Es wird einfach in TV-Diskussionen etwas Falsches behauptet, um dann ein vermeintlich besseres Argument daran zu knüpfen. Das ist nicht nur unfair, es ist auch unseriös.

STANDARD: Wem wird eigentlich die grüne Klimapolitik wehtun? Ohne Einschnitte wird es ja nicht gehen.

Kogler: Ich weiß nicht, wo in Österreich jetzt diese Sadisten herumlaufen, dass es immer wehtun muss. Was wirklich wehtun würde, wäre einfach gar nichts zu tun – schon allein wegen der Strafzahlungen. Ja, es wird Industriezweige geben, wo das Wachstum zurückgehen wird: überall dort, wo viel Fossil drinnensteckt. Im Übrigen darf ich daran erinnern, dass wir heute auch nicht mehr mit den Pferdekutschen herumholpern. Das hat sich innerhalb von Jahrzehnten umgestellt. Jetzt kommt die nächste große Mobilitätswende. Aber da muss bitte irgendwer damit beginnen und auch etwas flüssig machen – öffentliche Förderungen, privates Kapital. Das tut niemandem weh, das sind einfach Umstellungen. Es gibt dann neue Industrie, neue Forschungszentren mit neuen Arbeitsplätzen.

Foto: Christian Fischer

STANDARD: Wie soll der Umstieg auf den öffentlichen Verkehr denn so schnell vonstattengehen? Es fehlt doch in vielen ländlichen Regionen an der nötigen Infrastruktur.

Kogler: Wir Grünen sind die Einzigen, die sich was trauen. Die anderen erfinden immer irgendwelche Bremsklötze, Geschichten von den angeblich armen Pendlern, die im Waldviertel keinen Bus haben. Es sind die Roten, Türkisen und Blauen, die seit Jahrzehnten die Öffisysteme auf dem Land ausgedünnt haben – und jetzt sollen ihre Sünden der Vergangenheit als Begründung für neue Sünden herhalten? Wir müssen jetzt umsteigen. Wir werden in den öffentlichen Verkehr eben sofort investieren, und wir werden die Ökosteuerreform vorantreiben.

STANDARD: Sie sagen "wir". Sie brauchen dafür aber auch die Länder. Und die sind nicht alle grün regiert.

Kogler: Ich seh' das umgekehrt. Mit politischem Willen und Mehrheiten ist einiges möglich. Da sollen halt die Türkisen in Niederösterreich endlich aufhören, ständig Gleise rauszureißen, und sollen in den Öffiverkehr investieren. Ein bisschen was geht jetzt eh weiter, weil der Druck größer wird. Das Ein-Euro-Ticket in Wien bei diesem Öffi-Angebot ist europaweit führend, da wird hergepilgert, um sich das anzuschauen. Auch in Vorarlberg fährt die S-Bahn zwischen Bregenz und Bludenz in 15- bis 30-Minuten-Takten – sensationell.

STANDARD: Deutschland nimmt jeden vierten Bootsflüchtling aus Italien auf. Soll sich Österreich im selben Maß an der Flüchtlingsverteilung beteiligen?

Kogler: Die Ankünfte in der EU sind so niedrig wie lange nicht mehr. Ich habe das neulich mit Kollegin (SPÖ-Vorsitzender Pamela, Anm.) Rendi-Wagner diskutiert, und sie ist draufgekommen, dass das alle ein bis zwei Monate 15 Menschen wären. Daran kann es ja wohl nicht scheitern.

STANDARD: Also ja?

Kogler: Ja, wobei auch andere Länder mitmachen sollten. Da muss ich die Republik schon verteidigen: Österreich war unter den EU-Ländern, die sich bei der bisherigen Aufnahme am meisten beteiligt haben. Wir sollten in der EU darauf drängen, dass sich mehr Länder beteiligen. Genau das hat Kurz aber eben nicht gemacht. Er schmeißt sich auf ein Packl mit Orbán und Salvini, was ich sehr unappetitlich finde, und er erklärt, jetzt ist Schluss damit, dass wir weiter kämpfen für mehr Solidarität. Ich will das nicht aufgeben.

STANDARD: Wie schaut es mit Resettlement aus, also der Aufnahme von Flüchtlingen aus Lagern in Jordanien oder Libyen?

Kogler: Das ist tatsächlich ein klassisch grünes Konzept. So lässt es sich auch viel besser steuern. In Libyen sind mindestens 5.000 Menschen in Lagern, wo Folter und Vergewaltigung auf der Tagesordnung stehen. Die muss man doch sofort rausholen und in UN-Flüchtlingslager bringen. Für die anderen rund 50.000 Flüchtlinge in Libyen wäre es gut, zum Beispiel in Niger unter UN-Hoheit Verfahren zu führen, und dann könnte man das Resettlement angehen.

STANDARD: Mit wie vielen Plätzen soll sich Österreich am Resettlement beteiligen?

Kogler: Da gebe ich die Frage zurück an die anderen: Wie viele Menschenrechtsverletzungen will Türkis noch zulassen? Ich kann das nicht quantifizieren. Ich weiß nur, dass die EU mit den genannten Zahlen nicht überfordert sein wird.

STANDARD: Sie wollen keine Zahl nennen?

Kogler: Das geht nicht. Weil es auch davon abhängt, wie viele andere Länder sich beteiligen.

STANDARD: Ist das ein Thema, das man lieber nicht zu laut kommuniziert, weil es vielleicht Wähler verschreckt?

Kogler: Nein, wir haben es im Programm, und ich sage meist auch mehr dazu, als ich gefragt werde. Einfach weil wir in früheren Zeiten öfter den Fehler gemacht haben, dass wir uns gegen falsche Zuschreibungen nicht verwehrt haben. Es waren nicht falsche Positionen, und wir haben sie auch zumeist nicht falsch kommuniziert. Der Hauptfehler war, dass wir uns dauernd Klischees draufpicken lassen haben, die weit weg von jeder Realität sind.

STANDARD: Zum Beispiel?

Kogler: Zum Beispiel, dass die Grünen am liebsten von Südchile bis Nordostsibirien alle Armen dieser Welt nach Europa "importieren" wollen – und davon am besten alle nach Österreich und Deutschland. Das ist doch völliger Schwachsinn. Wir haben immer Migrationskonzepte gehabt, die durchaus an den kanadischen Modellen angelehnt sind. Das hat Hand und Fuß.

STANDARD: Sie sagen, damit Türkis-Grün möglich wäre, bräuchte es eine radikale Umkehr von Kurz. Ein konkreter Punkt, wo sich die ÖVP bewegen muss?

Kogler: Bei Umwelt-, Natur- und Klimaschutz. Zum Beispiel, dass die Umweltanwaltschaften eingeschränkt wurden. Und dass die Kinderarmut noch weiter vergrößert wurde, das empört mich wirklich. Es darf nicht sein, dass die Familien, die viel haben, noch mehr dazukriegen, und bei denen, die eh fast nichts haben, auch die Mindestsicherung zertrümmert wird. Die Schere ist weiter auseinandergegangen.

STANDARD: Würden Sie in einer Koalition ein Regierungsamt übernehmen oder das lieber anderen überlassen?

Kogler: Regierungsbeteiligung ist kein Wahlziel, also mach ich mir keine Gedanken. Und ich bin leidenschaftlicher Parlamentarier, darum ist ein Regierungsamt gar nicht in meiner Vorstellung. Ich wäre wohl Klubobmann. Aber wir reden von Wahrscheinlichkeiten, die gering sind. (Maria Sterkl, 19.9.2019)