Renate Künast will gegen ein Urteil vorgehen, das Beschimpfungen gegen sie nicht als Beleidigungen wertete.

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Berlin – Die deutsche Grünen-Politikerin Renate Künast will ihrem Anwalt zufolge gegen ein Urteil vorgehen, das eine Reihe sexistischer Beschimpfungen und Gewaltfantasien über sie als "hinnehmbare" Beiträge zu "einer Sachdiskussion" charakterisierte. Künast war bereits am 9. September vor dem Berliner Landgericht in einem Verfahren unterlegen. Sie wollte die Herausgabe persönlicher Daten von Facebook-Usern erreichen, die sich herblassend unter einem Posting über sie geäußert hatten. Die Begründung des Urteils, in dem sich die Richter mit 22 verschiedenen Beschimpfungen auseinandersetzen, sorgte nach Bekanntwerden am Donnerstag für Aufregung. Der Fall geht wegen Künasts Beschwerde nun vor das Kammergericht.

Unter anderem heißt es dort, die Äußerungen seien deshalb nicht als strafbar zu werten, weil sie sich auf einen Zwischenruf Künasts aus dem Jahr 1986 beziehen, der selbst als provokant einzustufen sei. Bei den umstrittenen Kommentaren handelt es sich nämlich um Reaktionen auf den Beitrag eines rechten Netzaktivisten, in dem dieser Künast vorwirft, die damals in der grünen Partei diskutierte Haltung, Geschlechtsverkehr mit Kindern außer Strafe zu stellen, gutgeheißen zu haben. Künast bestreitet allerdings vehement, dass ihre damalige Äußerung im Berliner Abgeordnetenhaus – "Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist" – so gemeint gewesen sei. Sie habe eine Entkriminalisierung von Geschlechtsverkehr mit Kindern nie befürwortet und lehne diese auch heute noch entschieden ab.

"Knatter sie mal durch" nicht "Gegenstand sexueller Fantasien"

Das Gericht sah die Aussage aus dem Jahr 1986 anders – und aus diesem Grund in den Beschimpfungen aus jüngster Zeit Äußerungen "mit Sachbezug". Die im Urteil geschilderte Auflistung sorgte dennoch vielerorts für Kopfschütteln: Die Äußerung "Knatter sie doch mal einer so richtig durch, bis sie wieder normal wird!" sei zwar "sicherlich ... geschmacklos", sie übe allerdings mit dem "Stilmittel der Polemik sachliche Kritik". Die Antragstellerin "wird nicht, wie sie dies meint, zum Gegenstand sexueller Fantasien gemacht", heißt es.

In der Bezeichnung "Pädophilen-Trulla" könne "eine Beleidigung nach § 185 StGB nicht erblickt werden", so das Urteil, "alte hat doch einen Dachschaden" sei "nicht losgelöst von der Äußerung der Person der Antragstellerin selbst". Ähnliches gelte für "Pfui du altes grünes Dreckschwein" und "Der würde in den Kopf geschi... War genug Platz da kein Hirn vorhanden war/ist" sowie die Bezeichnung als "Geisteskranke" und "Stück Scheisse". Als "überspitze Kritik" stelle sich hingegen "die Bezeichnung der Antragstellerin als hohle Nuß, die entsorgt gehört und als Sondermüll", dar.

"Grenze des Hinnehmbaren"

Nur "haarscharf an der Grenze des Hinnehmbaren" sei auch der Kommentar "Drecks Fotze", heißt es in der Begründung. Dies gelte, weil sich Künasts Zwischenruf aus dem Jahr 1986 "ebenfalls im sexuellen Bereich befindet", wie das Urteil behauptet, das damit die angebliche Äußerung Künasts zu einer Frage des Strafrechts charakterisiert. "Dass mit der Aussage allein eine Diffamierung der Antragstellerin beabsichtigt ist, ohne Sachbezug zu der im kommentierten Post wiedergegebenen Äußerung, ist nicht feststellbar." Eine Beleidigung liege durch diese Bezeichnung nicht vor. In der Anmerkung "Ferck du Drecksau" will das Gericht nicht, wie von Künast vermutet, die falsch geschriebene Aufforderung "verrecke" erkennen, sondern "es kann ebenso gut auch 'Ferkel' heißen".

Künasts Anwalt Severin Riemenschneider gab sich über das Urteil in deutschen Medien "entsetzt". Es sei für ihn "unerträglich, dass eine für das Änderungsrecht so bedeutende Kammer diesen Straftätern mit ihrem Beschluss Rückendeckung gibt", wird er zitiert. Es könne in diesem Fall in der Auseinandersetzung zwischen Meinungsfreiheit der Poster und den Persönlichkeitsrechten Künasts eigentlich "keine zwei Meinungen geben". Immerhin gehe es in der Sache nicht nur um Künast. "Der Beschluss des Landgerichts sendet ein katastrophales Zeichen, insbesondere an alle Frauen im Netz, welchen Umgang Frauen sich dort gefallen lassen sollen."

Mehr Schutz gefordert

Der Deutsche Juristinnenbund (DJB) begrüßte, dass Künast den Gerichtsbeschluss anfechten will und forderte, Frauen in den Online-Netzwerken besser zu schützen. "Wir brauchen eine zügige Weiterentwicklung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes", sagte DJB-Präsidentin Maria Wersig den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

"Viele Frauen, die sich öffentlich äußern, werden mit Sexismus, Vergewaltigungsdrohungen und blankem Hass von einer zum Teil organisierten Meute attackiert." Offenbar gehe es darum, Frauen zu zwingen, sich aus der Debatte zurückzuziehen, den öffentlichen Raum zu verlassen, sagte Wersig.

"Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, und Kritik an Politikerinnen und Politikern darf auch polemisch und überspitzt sein. Es gibt aber Grenzen des Akzeptablen, wer die Beispiele liest, der sieht sie vernünftigerweise hier überschritten", sagte Wersig. (red, 20.9.2019)