Wer kennt sie nicht: Die Accessoires und Mitbringsel, die kleinen Aufmerksamkeiten und mehr oder weniger sinnigen Utensilien, mit denen die politischen Parteien vor den Urnengängen ihre Anhänger, aber auch Unentschlossene und Gegner gerne versorgen: Wahlgeschenke. Die Selbstverständlichkeit dieser Dinge darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich diese in einer Zeit seltsam antiquiert ausnehmen, in der die entscheidenden Auseinandersetzungen und die Propaganda der werbenden Parteien und Bewegungen längst im digitalen Raum, in sozialen Medien, auf Facebook geführt werden und in der die Frage nach dem Zugriff auf Daten, der Produktion von Fake-News und viral verbreiteten Video-Interviews in den Köpfen der Parteistrategen längst allen anderen Bemühungen den Rang abgelaufen haben.

Wahlgeschenke oszillieren zwischen Spielzeug und Gebrauchsgegenstand, zwischen Gadget und Genussmittel.
Foto: Simon Klausner/Lukas Friesenbichler

Dem klassischen Wahlgeschenk, egal, von welcher Partei es überreicht wird, haftet so prinzipiell eine sentimental-nostalgische Note an: wie aus einer anderen Zeit gefallen. Um in den Genuss solch eines Geschenks zu kommen, muss man den digitalen Raum verlassen und sich in die vormoderne analoge Welt begeben. Wahlgeschenke sind nur im persönlichen Kontakt mit Wahlwerbern und Wahlhelfern zu ergattern, sie müssen in die Hand genommen werden, man spürt etwas, manche riechen und schmecken. Wahlgeschenke sind der Einbruch der unmittelbaren Sinnlichkeit in die sterile Welt der immateriellen Datenströme. Und: Sie erinnern uns an Wahlkämpfe der prädigitalen Ära, als die Welt noch unschuldig und die Demokratie noch nicht gefährdet war.

Wider den Gestus des passiven Konsums

Die meisten Wahlgeschenke konterkarieren auch den Gestus des passiven Konsums, mit dem die digitalen Anbieter gerne locken. Wer sie verwendet, muss, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, aktiv werden. Wahlgeschenke oszillieren zwischen Spielzeug und Gebrauchsgegenstand, zwischen Gadget und Genussmittel, und im Gegensatz zu anderen Gratiszuwendungen aus der Welt der Werbung deklariert derjenige, der solch ein Geschenk annimmt und in seinen Alltag integriert, eine hoffnungsfrohe politische Präferenz. Nach der Wahl wird sich dann so manches dieser Dinge als Danaergeschenk erweisen.

Es gibt, und das macht die Sache so amüsant, unter den Wahlgeschenken Evergreens, die von mehreren Parteien vertrieben werden, nur in anderen Farben und mit anderen Logos versehen. Unübersehbar an der Spitze sind dabei Schreibwerkzeuge: Kugelschreiber und Bleistifte, bei manchen kommt noch der Schreibblock dazu, bei der SPÖ sogar mit einem Burgenland-Kreuzworträtsel. Gerade Parteien, die sich gerne als Vorreiter der Digitalisierungsschübe in Schule, Wirtschaft und Gesellschaft verstehen, werben mit den antiquierten Medien. Wer soll sich mit einem ÖVP- oder FPÖ-Kugelschreiber noch etwas aufschreiben, wer mit einem Neos-Bleistift und Neos-Lineal etwas zeichnen in einer Zeit, in der nicht nur jedes Kind, sondern auch jeder Pensionist seinem Smartphone diktiert?

Philosoph Konrad Paul Liessmann: "Wahlgeschenke sind der Einbruch der unmittelbaren Sinnlichkeit in die sterile Welt der immateriellen Datenströme."
Foto: Heribert Corn

Noch mehr Kopfzerbrechen über die versteckte Botschaft bereitet aber der ebenfalls von ÖVP, Neos und KPÖ verteilte Luftballon. Natürlich: Mit Luftballons wird jene Buntheit suggeriert, die es erlaubt, die Parteifarbe gleichsam natürlich erscheinen zu lassen. Aber: Luftballons sind Mitbringsel von Wahlveranstaltungen, die vor allem Kinderherzen höherschlagen lassen – man signalisiert damit also entweder die eigene Infantilität oder wählt stellvertretend für den Nachwuchs die Partei mit den schönsten Luftballons.

Luftballons müssen mit Luft gefüllt werden, und so richtig können das ja nur Politiker mit starken Lungen und langem Atem. Das Parteilogo und der Name des Spitzenkandidaten, der den Luftballon ziert, wirken dann aber mitunter so richtig aufgeblasen. Luftballons sind allerdings heimtückisch. Sie können entschweben und vor allem: Sie sind durch einen kleinen Nadelstich zum Platzen zu bringen – das gemahnt an die enttäuschten Gesichter derjenigen, deren Träume am Wahlabend mit einem Knall zerplatzen wie ein Luftballon.

Süßes zum Teilen

Politische Infantilität drückt sich auch in einem anderen beliebten Sujet aus, das einen Rückfall in die orale Phase signalisiert: das nicht nur sprichwörtliche, sondern reale Wahlzuckerl. Es wird von fast allen Parteien verteilt, in der Regel als Pez-Bonbon, die Neos wickeln Zuckerln einzeln mit ihrem Logo ein, und die SPÖ verschenkt zusätzlich Fruchtgummis in Herzchenform: "Was Süßes zum Teilen", versehen mit der moralisierenden Botschaft: "Ich bin aus Maisstärke und biologisch abbaubar". Ob das auch für die Partei gilt? Und der Wandel, eine linke Splittergruppe ohne Ressourcen, hat sich die Zuckerln gleich in der ÖVP-Parteizentrale geholt und mit dem eigenen Logo überschrieben.

Bleibt noch das Verschenken von Gesichtern – zweifellos eine heikle Sache. Mit dem Konterfei des Spitzenkandidaten neben Plakaten auch jene Dinge zu verzieren, die man getrost mit nach Hause nehmen soll, ist nicht jedermanns Sache. Überzeugt von der Attraktivität dieses besonderen Geschenks ist eigentlich nur die SPÖ. Sie verteilt Tragtaschen mit dem Porträt der Parteichefin und dem Hashtag #pamtastic. Nach dem Vorbild einer Fitness-App soll damit wohl bekundet werden, dass man das Schnitzel sowohl geld- als auch kalorientechnisch noch blitzschnell in die Tasche stecken kann. Wohl kennt auch die ÖVP ein türkises Sackerl, mit diesem trägt aber man gleich die ganze Verantwortung für Österreich mit sich herum.

Anspruchsloses Küchenkraut

Wirklich nachhaltig ist dagegen das Wahlgeschenk der Grünen: Samen der Biogarten-Kresse. Ein, wie es in der Beschreibung heißt, anspruchsloses Küchenkraut, das auf alle Suppen passt. Ob das eine politische Selbstcharakterisierung sein will?

Mit all diesen Geschenken ist eine gewisse Funktionalität verbunden, die jene Gadgets vermissen lassen, die nur die politische Botschaft transportieren: etwa Sticker mit den Gesichtszügen des Kandidaten oder knappem Slogan. Hier von Geschenken zu sprechen erübrigt sich eigentlich. Man erhält nichts außer das Symbol der Partei und kann damit auch nichts anderes machen, als sich zu diesem Symbol zu bekennen.

Eine ironische Verwendung ist damit nicht möglich. In die Parteitragtaschen kann man alles Mögliche packen, und zumindest als Wahlkartenwähler kann man mit dem Kugelschreiber der einen doch die andere Partei ankreuzen. Wer mit einem Sticker auf die Straße geht, wird schwer behaupten können, dass das so nicht gemeint war.

Es geht nichts über Wahlzuckerln

Am besten schneiden unter diesen Gesichtspunkten aber die Wahlzuckerln ab. Wohlbehagen durch Lutschen – anders kann man sich den Hintersinn der Bonbons kaum erklären, man lässt sich die politischen Versprechungen gleichsam auf der Zunge zergehen, bringt durch diesen Genuss aber auch den Gegenstand des Begehrens zum Verschwinden. Zuckerln haben keinen Bestand, und das gilt für die realen wie die metaphorischen Wahlzuckerln. Im angemessenen Gebrauch des Wahlzuckerls hebt dieses sich selbst auf. Am Ende bleibt das reine Nichts, manchmal mit einem erfrischenden, öfter mit einem schalen Nachgeschmack. (Konrad Paul Liessmann, 23.9.2019)