Sie sieht noch leicht verschlafen aus, ist aber bestens gelaunt. Emily Beecham nippt an ihrem grünen Tee, während sie von der Haar- und Make-up-Expertin für das RONDO-Shooting vorbereitet wird. Als es an ihre Nägel geht, lacht die britische Schauspielerin verlegen und entschuldigt sich für ihre geschundenen Finger.

Tags zuvor drehte sie noch in den Schweizer Alpen einen Klima-Kurzfilm für die Uno, musste mit bloßen Händen einen Gletscher hinaufklettern. "Davor war ich in Paris Gast der Couture-Show von Chanel", sagt sie lachend.

Der Blazer ist von Balenciaga, der Rock von Rokh, der Rollkragenpullover und die Pumps sind von Hermès.
Foto: Stefan Armbruster

Alltagsroutine gibt es in ihrem Leben derzeit nicht, dafür so manche Überraschung. Wie etwa eines Morgens im Mai dieses Jahres, als Beecham einen Anruf bekam, sie möge so schnell wie möglich ins nächste Flugzeug steigen und an die Côte d'Azur reisen.

An diesem Tag wurde bei den Filmfestspielen in Cannes die Goldene Palme verliehen. Emily Beecham war als beste Schauspielerin nominiert. Wenige Stunden später stand sie als Gewinnerin auf der Bühne. "Ich hatte wirklich nicht damit gerechnet. Es ging alles so schnell und unvorbereitet, ich stand unter Schock. Das musste erstmal sickern", erzählt sie von der Preisverleihung.

Befremdliche Atmosphäre

Prämiert wurde Beecham für die Rolle der Alice in Little Joe, dem neuesten Film der österreichischen Regisseurin Jessica Hausner, der Anfang November in die Kinos kommt. Er handelt von einer alleinerziehenden Mutter und Gentechnikerin die eine Pflanze züchtet, deren Duft im Gehirn der Menschen Oxytocin freisetzen und sie glücklich machen soll.

Im Laufe des Films stellt sich jedoch heraus, dass "Little Joe", wie die Pflanze getauft wird, erhebliche Nebenwirkungen hat. Abseits der Handlung macht die Inszenierung den Film spannend. Durch einheitliche Farbgebung, minimalistische Musik und die etwas spröden Charaktere schafft Hausner eine befremdliche Atmosphäre.

"Jessicas spezielle Art des Filmemachens holte mich aus meiner Komfortzone. In anderen Filmen lautet die Prämisse, so natürlich und offen wie möglich zu sein. In Little Joe sind die Figuren aber sehr gehemmt, die Interaktionen zögerlich, die Szenen genau getaktet. Es brauchte oft 20 Durchläufe, bis das Timing exakt stimmte", erzählt Beecham von den Dreharbeiten. Die 35-Jährige sagt, sie empfinde es als Privileg, an Produktionen wie dieser mitwirken zu können.

Die Schauspielerin in einem Mantel von Prada.
Foto: Stefan Armbruster

Emily Beecham wurde 1984 als Tochter einer US-Amerikanerin und eines Briten in Manchester geboren. Während ihres Schauspielstudiums an der London Academy of Music and Dramatic Art (Lamda), wurde sie bei einer Theateraufführung entdeckt.

Fortan arbeitete sie als Schauspielerin, ergatterte zahlreiche Rollen in Kino- und TV-Produktionen. Zu den bekanntesten zählen der Zombie-Thriller 28 Weeks Later, die Komödie Hail, Ceasar und die Action-Serie Into the Badlands.

Ein Meilenstein in Emily Beechams bisheriger Laufbahn ist wohl ihre Hauptrolle in Peter Mackie Burns Independent-Produktion, dem Drama Daphne. Darin lenkt sich die gleichnamige Protagonistin mit durchzechten Nächten und etlichen Liebhabern von der Frage ab, was sie mit ihrem Leben anfangen soll – bis sie Zeugin eines Gewaltverbrechens wird. Für ihre Darstellung wurde Beecham 2017 etwa bei den Film-Festivals in Edinburgh und Turin ausgezeichnet.

Das Kleid ist von Tory Burch, die Pflanze aus dem Film "Little Joe".
Foto: Stefan Armbruster

Independent

Der Film stellte einen Wendepunkt in Beechams Karriere dar. Zuvor war sie trotz der beruflichen Erfolge sehr unzufrieden: "Vor Daphne hatte ich schon mit dem Gedanken gespielt, die Schauspielerei an den Nagel zu hängen." Grund für ihre Frustration waren die Rollen, die sie spielen sollte.

Dass sie vor allem schön, sexuell attraktiv und unkompliziert sein sollte, demoralisierte die Schauspielerin. Sie wollte Independent-Filme drehen. Ihr damaliger Agent riet ab: Das lohne sich finanziell nicht und sei strategisch unklug. Beecham drehte Daphne trotzdem – und fand ihre Leidenschaft fürs Schauspiel wieder.

Bei den Frauenrollen ortet sie eine Trendwende im Film: "Früher waren Frauen unterwürfiger. Das spiegelt sich auch in den Filmen wider, sie reflektieren die jeweilige Zeit. Nicht zuletzt dank der #MeToo-Bewegung ändert sich die Darstellung der Frau im Film."

Mit dem Begriff "Starke Frau" kann sie aber nichts anfangen. Stärke hat nichts mit dem Geschlecht zu tun, und nur weil einer Frauenrolle stereotyp männliche Attribute zugeschrieben werden, mache sie das nicht automatisch stark, sagt Beecham.

Der Strickpullover ist von Arthur Arbesser.
Foto: Stefan Armbruster

Ihre Rolle im Film Little Joe, die der Alice, bezeichnet sie als stark. Sie habe mit vielen Konflikten in ihrem Leben zu kämpfen. Etwa dass sie zwar das gute Verhältnis zu ihrem Sohn aufrechterhalten will, sich aber gleichzeitig voll und ganz ihrem Beruf widmet. Sie sei unsicher, aber auch zielstrebig, beschreibt Beecham die Figur, die mit ihrer genetisch veränderten Pflanze die Menschheit glücklich machen will.

Was Emily Beecham glücklich macht? Jeden Moment so zu nehmen, wie er kommt. Sie versucht, sich auf die Unvorhersehbarkeit einzulassen, egal ob Klettereien am Gletscher, spontane Reisen zu Preisverleihungen oder Fotoshootings. (Michael Steingruber, RONDO exklusiv, 24.10.2019)

Emily Beecham in einem Rollkragenpullover von Hermès.
Foto: Stefan Armbruster
Foto: Stefan Armbruster
Der Mantel ist von Salvatore Ferragamo, der Rollkragenpullover von Marc O'Polo.
Foto: Stefan Armbruster
Emily Beecham trägt einen Mantel von Christopher Kane, ein Hemd von Karl Lagerfeld, eine Strumpfhose von Falke und Pumps von Dries van Noten.
Foto: Stefan Armbruster
Auf diesem Bild trägt sie einen Mantel von Chanel.
Foto: Stefan Armbruster
Beecham in einem Blazer von Chanel.
Foto: Stefan Armbruster
Emily Beecham trägt einen Anzug von Dries van Noten.
Foto: Stefan Armbruster