So ähnlich müssen die Ketten auf der nackten Brust von Jimi Hendrix geduftet haben. Oder die Haare der jungen, wilden Janis Joplin. Patschuli, der trockene, erdige Geruch der gleichnamigen Pflanze aus tropischen Gebieten, wurde bis vor kurzem gern als Hippiekram abgetan. Doch plötzlich zählt er wieder zu den Highlights gut bestückter Parfümerien.

Wen wundert's? Schließlich erzählt die Patschuli-Brise von 1969 ziemlich unverblümt von Sex, Freiheit und Selbstverwirklichung. Ein Versprechen, das damals wie heute funktioniert. Auch unsere modernen Stadtnerven sehnen sich nach ungespritzten Weintrauben, selbstgebackenem Brot und ehrlichen Küssen, kurz: nach einem Happy End.

Neuinterpretationen

Interessierten stehen eine Reihe von minimalistischen Neuinterpretationen zur Auswahl: etwa "Patchouly" aus dem Hause Etro im psychedelisch gemusterten Flakon. Oder ein gleichnamiger Duft des Mailänder Familienbetriebs Mazzolari.

Auch "Patchouli" von Lorenzo Villaresi, dem florentinischen Philosophen unter den Parfümeuren, verspricht Sinnliches, während "Patchouly Indonesiano" aus der Duftapotheke Farmacia SS.Annunziata schon fast wie spaßbefreite Medizin in die Nase sticht.

Mit diesem Flakon von "Patchouly" huldigt Etro dem einstigen Hippie-Image des Dufts.
Foto: Hersteller

Wer nicht gleich mit der Patschuli-Tür ins Haus fallen will, der könnte sich auch auf die Rose als Diva assoluta einlassen. Auf die prächtige Feige, den fruchtig-herben Rhabarber, die sonnendurchflutete Grapefruit oder einen der vielen arroganten Lederakkorde.

Die Solisten, die zur Auswahl stehen, sind fast unendlich – nur eines ist all den neuen Mono-Parfums gemein: Es gibt nur einen Superstar. Der Rest der Entourage ist Personal. Also keine brave Deklination mehr von Kopf-, Herz- und Basis-Akkorden, wo geraten werden darf – "Wonach riechst du eigentlich?" -, sondern klare Ansagen, frei nach dem Motto: Ich weiß, was ich will.

"Das Parfum muss das melodische Thema, den Geschmack unserer Zeit verkörpern", analysierte in den 1920er-Jahren die Schriftstellerin, Varietékünstlerin und Journalistin Colette. Unserem aktuellen Zeitgeschmack scheinen die Einzelgänger gut zu entsprechen – moderne Patchwork-Identitäten, ermüdet von den überladenen Potpourris der letzten Dekaden, verlangt es offensichtlich nach eindeutigeren Codes.

All diese Auftritte haben auch mit dem wachsenden Bewusstsein für die Qualität der Inhaltsstoffe zu tun: Der Auskenner definiert sich längst nicht nur über seine besonderen Weine, sein spezielles Brot und seinen speziellen Kaffee, sondern eben auch über einen hochwertigen Duft.

Große Parfumkunst

Bei Hermès, dem eleganten und zeitlosen Mode- und Duftimperium, feiert man die Strahlkraft derartiger Hauptdarsteller schon lange: Mit "Les Colognes" schuf der Franzose Jean-Claude Ellena, weltweit einer der berühmtesten Duftkomponisten und bis vor kurzem Chefparfumeur des Hauses, eine Kollektion, die Geschichte schrieb: "Eau d' Orange Verte" (grüne Orange), "Eau de Gentiane Blanche" (weißer Enzian) oder "Eau de Pamplemousse Rose" (rosa Grapefruit), um nur einige zu nennen – gekonnt erweitert durch "Eau de Rhubarbe" (Rhabarber) und "Eau de Citron Noir" (schwarze Zitrone), für das die Nachfolgerin von Jean-Claude Ellena, Christine Nagel, verantwortlich zeichnet.

Zu den "Les Colognes"-Düften von Hermès gehört unter anderem "Eau de Rhubarbe".
Foto: Hersteller

Ein Herz für Rohmaterialien und deren Produzenten haben auch die Betreiber der Manufaktur Urban Scents, betrieben vom österreichischen Duftexperten Alexander Urban und seiner Frau, der französischen Parfümeurin Marie Urban Le Febvre: In einer Zeit, in der schnelllebige Massenware nach immer billigeren Zutaten verlangt, betrachten sie ihre gemeinsame Arbeit an Parfums wie "Dark Vanilla" und "Vetiver Réunion" auch als Wertschätzung und Unterstützung der Produzenten bester Rohstoffe: "Vanille ist nicht gleich Vanille", betont Alexander Urban. Ein Kilo des hochwertigen Extraktes (Absolue) koste zwischen 7000 und 10.000 Euro.

"Weil es immer schwieriger wird, gute Rohstoffe zu bekommen, widmen wir diesen Aromen ganze Kompositionen und tragen so hoffentlich dazu bei, dass die Bauern, die diese Felder bewirtschaften, weiterhin davon leben können."

Und wie erklärt er sich den neuen minimalistischen Parfumtrend? "Das ist wie beim Essen: Durch möglichst viele Zutaten möglichst breit aufgestellt zu sein ist aus der Mode gekommen. Individualisten zeigen Mut und verlassen sich auf konzentrierte Qualität."

Die Flakons von Urban Scents sehen alle gleich aus. Dieser hier enthält "Dark Vanilla".
Foto: Hersteller

Verveine-Junkie

Auf Solisten aus der Natur setzt auch der ästhetische Dermatologe Michael Palatin in Wien. Wenn eine Behandlung Sedierungen erfordert, ergänzt er die Mininarkosen je nach Bedarf mit beruhigendem Lavendel- oder mit belebendem Lorbeer- und Grapefruitöl.

Palatin ist überzeugt: "Mehr als alle anderen Sinne beeinflusst unser Geruchssinn unsere Gefühle." Aus diesem Grund besitzt der Arzt seit Jahren eine gut sortierte Duftorgel – ein Schrank voller Fläschchen mit ätherischen Ölen, bestehend aus einer Klaviatur von Basisdüften, mit denen üblicherweise Parfümeure experimentieren.

Palatin verwendet sie zur Komposition personalisierter Parfums und als Ergänzung seiner medizinischen Behandlungen. Sein privater Duft-Star: "Ich bin ein Verveine-Junkie, dieses Aroma ist für mich das pure Glück."

Niemand verließ sich je radikaler auf einen Akkord als der deutsche Parfümeur Geza Schön mit seinem Label Escentric Molecules: Sein erstes Parfum "01" besteht gar nur aus einer Art Duftmolekül, dem chemischen Geruchsstoff Iso E Super (auch Ambroxan genannt). Stewardessen oder einzelne Passagiere, die den Molekülduft aufgetragen hatten, sollen mit ihrer hypnotischen Aura schon ganze Flugzeuge in Ekstase versetzt haben, erzählt man sich.

Angelina Milanow, Store-Managerin der Wiener Parfümerie Kussmund, erklärt den Vorgang etwas dezenter: "Selbst riecht man es oft gar nicht, aber auf andere haben diese Stoffe eine pheromonartige Wirkung."

Künstliche Drogen kann man mögen oder auch nicht. Aber auf eine neumodische Art ist die erotische Verwirrung nach derartigen Molekülattacken dann wahrscheinlich doch ganz ähnlich, wie damals an der Brust von Jimi Hendrix in Woodstock. (Ela Angerer, RONDO exklusiv, 16.1.2020)