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Viele Sternchen dafür, den Mund zu halten? Keine gute Strategie für das Unternehmen

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Wenn Führung der Aufgabe gerecht werden will, in dieser Zeit des Umbruchs ihren Beitrag zur betrieblichen Anpassung an die von der Digitalisierung vorgegebenen neuen Spielregeln zu leisten, dann müssen Vorgesetzte als Schlüssel zu den Köpfen ihrer Mitarbeiter wirken", sagt der Geschäftsführer von Coverdale Team Management Deutschland, Thomas Weegen. "Je ausgeprägter die durch Führung aktivierte geistige Vielfalt ist, auf die sich ein Unternehmen in den Innovationsturbulenzen und im Wettbewerb stützen kann, desto ruhiger kann es den Gang der Entwicklung beobachten und eigene Akzente darin setzen. Betriebliche Zukunftsfähigkeit verlangt heute, ein Unternehmen aus der Führungsperspektive als kollektive Denkfabrik in eigener Sache zu begreifen."

Was treibt den erfahrenen Berater zu diesem Klartext? "Die verflixte Kurzsichtigkeit in der Praxis!" Was zeigt sie? Eine Besprechung, eine Teamsitzung wird anberaumt, der Unternehmer oder Vorgesetzte umreißt die Aufgabenstellung oder zu besprechende Problematik und verkündet, was seiner Meinung nach zu tun und zu lassen wäre. "Und schon sitzt der Korken auf der Flasche! Der Chef hat seine Meinung kundgetan und damit erscheint es den meisten erfahrungsgestützt nicht mehr opportun, die eigene von sich zu geben oder gar gegen die des Chefs zu stellen."

Anpassung führt nicht ins Paradies

Im Ergebnis kommt dabei das heraus, was umgangssprachlich "nach dem Munde reden" genannt wird. Oder betretenes Schweigen. Man hätte aus eigener Sachkenntnis und Erfahrung sehr wohl das eine oder andere dem Chef zu bedenken zu geben, nur, und nun zeigt sich für Weegen die Problematik in der Problematik: "Wer sich jetzt erkühnt, den Mund aufzumachen, darf damit rechnen, nicht nur dem Chef Missmut ins Gesicht zu zaubern, sondern auch noch von den üblichen Beflissenen angegangen und als Besserwisser hingestellt zu werden!" In dieser Situation nun Rückgrat zu zeigen und die eigene Sicht auf die Dinge zu verteidigen sei löblich, grenze erfahrungsgemäß aber leider nur zu oft an Selbstbeschädigung.

Wer einmal die Erfahrung gemacht habe, wie ein begossener Pudel dazustehen, überlege sich dreimal, sich diese Empfindungen noch einmal anzutun. "Und dieses selbstschützende Nach-dem-Munde-Reden oder Schweigen wird zum Dilemma für den Betrieb. Mehr als sich die oder Bedauernswerte selbst mit beherzter Meinungsäußerung beschädigt, beschädigt sich das Unternehmen mit deren Unterdrückung."

Bereits 1982 machte der Ökonom und Träger des Schweizer Innovationspreises Professor Cuno Pümpin darauf aufmerksam, "dass der strategische Erfolg einer Unternehmung weniger von ausgeklügelten Strategiepapieren, sondern vielmehr vom täglichen Verhalten aller Führungskräfte und Mitarbeiter bestimmt wird." Passend dazu findet sich in dem Buch Neuro Change – Antworten der Hirnforschung auf den Wandel im Management (Markus Ramming) die süffisante Feststellung: "Wenn Führungskräfte ihre Mitarbeiter wie Deppen behandeln, dann werden sich die Mitarbeiter irgendwann wie Deppen verhalten."

Die eigene Meinung zurückhalten

Ulrich F. Zwygart, der neben seiner Beratertätigkeit in Führungsfragen als Honorarprofessor für Unternehmensführung Leadership und Management an der Universität St. Gallen lehrt, weist in seinem Buch Dein Weg zum Erfolg? – Vom Umgang mit Menschen und Leistung. Anregungen für eine andere Führungsgeneration den Nachwuchs darauf hin: "Du musst eine eigene Meinung haben und diese auch vertreten. Wenn es darum geht, das eigene Team in die Entscheidungsfindung einzubeziehen, solltest du deine Ansicht jedoch nicht als Erster einbringen. Diesen Fehler habe ich gemacht – wie gesagt, selten zu meinem Vorteil, weil sich die Mitarbeiter nicht mehr frei fühlen und die eigenen Gedanken und Überlegungen zurückhalten. Ich habe gelernt, dass es vorteilhafter ist, sich zurückzunehmen, die anderen zuerst sprechen zu lassen und gut zuzuhören. Daraus können sich interessante und weiterführende Diskussionen ergeben."

Deshalb muss sich in den Betrieben viel mehr als bisher das Bewusstsein durchsetzen: Ein guter Vorgesetzter hat und behält auch deshalb gute Mitarbeiter, weil er sie aufbaut, weil er starke Personen mit eigener Meinung um sich herum erträgt und duldet, weil er stolz darauf ist, solche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu haben.

Belohnung für gute Chefs fehlt

Und: Vorgesetzte, die nachweislich fördern, müssen dafür Anerkennung bekommen und ihrerseits gefördert werden. "Tatsache ist, dass auf dieser Ebene der Personalentwicklung noch ganz erhebliche Möglichkeiten darauf warten, genutzt zu werden", sagte der im April verstorbene Personalprofessor der Uni Bern, Norbert Thom. Grundsätzlich, so Thoms Rat, sollten sich Unternehmen im Blick auf ihre Belegschaft immer wieder vor Augen führen, dass sie in deren Reihen Potenziale und Qualifikationen haben, die etwas zu sagen haben. Und deshalb die Bereitschaft, auch tatsächlich etwas zu sagen, fördern.

Das Wissen darum verlange ebenfalls, den dominierenden Blick bei der Personalsuche von außen etwas mehr nach innen zu verlagern. Und zwar über Altersgrenzen hinweg. (Hartmut Volk, 23.9.2019)