Heiko Stahl (Vitra): Gradmesser für das Wohlfühlen im Büro – das Foto auf Instagram.

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Theoretisch kann man heute als Schreibtischmensch seine Arbeit überall machen. Laptop aufklappen, Ohrstöpsel rein – das geht daheim am Küchentisch genau so gut wie im Kaffeehaus. Braucht man in Zeiten von Home-Office und Coworking-Spaces überhaupt noch Büros? Oder ist das Büro in der Firma wie ein analoger Anker im digitalen Arbeitsleben? Kann/soll der Arbeitsplatz gar so etwas wie Heimat sein?

"What the f*** is Heimat?", dieses Graffiti-Zitat des deutschen Künstlers Stefan Strumbel lieh sich das FAQ Bregenzerwald – ein Gesellschaftsforum für neue Ideen und spannende Begegnungen – aus, um von Heiko Stahl, Geschäftsführer von Vitra Schweiz, Antworten zu bekommen.

Stahl fand im Bregenzerwald das passende Ambiente für seine These, dass Architektur und Design des Arbeitsplatzes Wohlbefinden und Leistung der Arbeitenden positiv beeinflussen. Heiko Stahl referierte im lichtdurchfluteten Holzhaus der Polsterei Mohr, das einmal im Jahr für das FAQ vom Lagerraum zum Konferenzsaal mutiert. Ohne Beispiel sei das Zusammenspiel von neuer Architektur, Landschaft und Handwerk im Bregenzerwald, staunte der Manager. Ein dickes Lob für die Vorarlberger, wirkt Stahl doch im Schweizer Architektur- und Designmekka, das Vitra rund um seine Produktionsstätten geschaffen hat.

Die Frage bei Neuentwicklungen

Seit 70 Jahren produziert das Schweizer Unternehmen Büromöbel, richtet Arbeitsräume ein. Immer dem Designverständnis des US-amerikanischen Architektenpaars Charles und Ray Eames verpflichtet, dessen Entwürfe Vitra seit 1957 umsetzt. Damals, in den konservativen 1950ern, hatte es sich Vitra-Gründer Willi Fehlbaum in den Kopf gesetzt, die Eames'schen Designerstühle nach Europa zu bringen. Der hartnäckige Schweizer bekam die Lizenzen, seine Nachfahren halten das Erbe hoch. Noch heute wird bei jeder Neuentwicklung gefragt: "Was würde Eames dazu sagen?"

Ein weiterer Klassiker aus dem Hause Vitra ist der Panton Chair, der erste Kunststoff-Freischwinger, der in einem Guss gefertigt wurde. Sein Schöpfer, der Däne Verner Panton, übersiedelte 1963 nach Basel, um den Schweizern bei der Entwicklung des Verfahrens zu helfen; vier Jahre später ging der Stuhl in Serie.

Die Schweizer Tüftler richten seither weltweit Büros, Konferenzzentren, Parlamente, Hotels, Privathäuser ein. Längst ist man vom Ausstatter zum Entwickler geworden. Gemeinsam mit Designern und (Innen-)Architekten werden schöne Arbeitswelten geschaffen. Was macht nun ein gut gestalteter Raum mit den arbeitenden Menschen, Heiko Stahl? "Er gibt den Menschen Sicherheit und das Bewusstsein, angekommen zu sein."

Heimat versteht der aus dem Schwarzwald Stammende nicht als Ort, sondern als Gefühl, das sich einstelle, wenn man gemeinsame Werte teilt, "wenn man wo dazugehört". Die Herausforderung eines Unternehmens sei, seine Werte mit dem Gebäude darzustellen. Man könne keine Büros im herkömmlichen Sinn mehr bauen, "wo ein Schreibtisch in der Ecke steht und man den ganzen Tag an einer Exceltabelle arbeite oder einer Powerpoint-Präsentation", sagt Stahl. "Solche Arbeiten kann man sehr gut zu Hause erledigen." Ins moderne Büro gehe man, um sich mit den Kollegen auszutauschen. Heiko Stahl: "Kollaboration und Wissensaustausch funktioniert nur, wenn ich mich mit unterschiedlichen Leuten treffen kann. Ein Unternehmen muss Räume schaffen, wo dieser Austausch regelmäßig stattfinden kann."

Es geht um Vertrauen

Video-Meetings, Skype, Facetime und ähnliche technische Kommunikationsmittel könnten die direkte Begegnung nicht ersetzen. Denn: "Soziale Interaktion ist für den Menschen wahnsinnig wichtig. Den Händedruck zu spüren, die Gesichtsreaktion zu sehen, das Verhalten eines Menschen in vielen Kleinigkeiten wahrzunehmen, das ist die Basis, Vertrauen aufzubauen. Dieses Vertrauen, das man braucht, um miteinander arbeiten, Gemeinsames entwickeln zu können."

Großraumbüros bieten bessere Möglichkeiten zur Kollaboration als Einzelbüros, ist Stahl überzeugt. Bei Vitra in Weil am Rhein arbeiten seit zehn Jahren 140, 150 Leute im Großraum, in Birsfelden ungefähr 100, erzählt Stahl. Durchaus zufrieden, wie er meint. Die Veränderung der Bürowelt wurde penibel vorbereitet. "Farbe, Licht, Akustik, Möbel, Stoffe, Raumklima" – alles müsse bei der Planung eines Großraumbüros genau durchdacht werden. Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollte man in Workshops bereits vor der Planung klären. "Wenn all diese Komponenten stimmen, dann stimmt auch das Miteinanderklima", sagt Stahl.

Die häufigsten Fehler bei der Einrichtung eines Großraumbüros umreißt Stahl mit einem Satz: "Akustik und Licht nicht zu berücksichtigen, und der Chef bleibt weiter im Einzelbüro." Mitten drin sollte der CEO sitzen, "sonst ist das nicht ehrlich". Man mache das Büro ja, um zu sehen, woran man arbeitet.

Arbeitest du nicht?

Moderne Großraumbüros bieten neben Arbeits- auch Ruhe und Rückzugsbereiche. "Jemanden, der auf dem Sofa sitzt, zu fragen, ob er heute nicht arbeite, ist ein Unding", weiß Stahl. "Das Bewusstsein, dass auch ein Sofa ein Arbeitsplatz ist, diese Akzeptanz muss da sein." Gutes Miteinander brauche klare Spielregeln, "die Mitarbeiter selbst formulieren". Selbstverantwortung, Transparenz und Vertrauen nennt Heiko Stahl als wesentliche Voraussetzungen für Kollaboration.

Das Miteinander am Arbeitsplatz wirke sich auf das Wohlbefinden aus: "Bei uns sind die Krankenstandstage wesentlich zurückgegangen, seit wir im Großraum arbeiten." Aktueller Gradmesser für die Zufriedenheit am Arbeitsplatz ist Instagram, beobachtet Heiko Stahl und schließt daraus: "Wer ein Foto seines Arbeitsplatzes postet, fühlt sich wohl." (Jutta Berger, 26.9.2019)