Mit expressiven Pinselstrichen lässt sich gut Energie vermitteln: Darauf setzt im aktuellen Wahlkampf die FPÖ.

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Auch Alexander Van der Bellen vertraute im Präsidentschaftswahlkampf darauf.

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Ebenso tut es Sony mit seinem aktuellen Logo.

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Oder der französischen Gestalter Roger Excoffon 1964 für die Fluglinie Air France.

Foto: Air France

Das Logo des Metallica-Labels Blackened Recordings kommt von der Agentur Turner Duckworth.

Foto: Turner Duckworth

Bei Analysen von Wahlplakaten liegt der Fokus meist auf Text und Foto, wohl weil man darin die wichtigsten Ansagen vermutet. Die anderen Elemente sieht sich kaum jemand bewusst an. Das heißt aber weder, dass sie nicht präzise durchdacht wurden, noch dass sie nicht wirken. Sieht man richtig hin, entdeckt man heuer abstrakte Pinselstriche als Leitmotiv der FPÖ, einer Partei, die nicht für Freude an abstrakter Malerei bekannt ist.

In Kommentaren zur Gestaltung der ersten FPÖ Plakate dieses Jahr kann man lesen, die Spitzenkandidaten stünden vor einer Österreichflagge. Das ist nicht ganz richtig: Sie stehen vor zwei roten Pinselstrichen, die Schlieren ziehen und nach rechts hin auslaufen, zwischen denen das Weiß des Plakates sichtbar wird. Außer dem Porträt der Kandidaten sind sie das einzige Bildmotiv. Das erste Plakatpaar Kickl/Hofer unterscheidet sich so von der klassischeren zweiten Plakatwelle: Denn hier stehen die Kandidaten tatsächlich vor einer Flagge, die von oben ins Bild hängt.

Unübersehbar

Die Pinselstriche sind allerdings nicht ganz verschwunden, sondern erscheinen vor und nach dem Slogan. Auch auf der Website sind sie prominent zu sehen und leiten uns wahlweise zum Auftritt Hofers oder Kickls. Offenbar sollen die abstrakten Pinselstriche das prägende Rot-Weiß-Rot-Motiv der Kampagne sein. Hat man sie einmal bewusst wahrgenommen, kann man sie nicht mehr übersehen.

Wichtiger ist aber, wie sie unbewusst wirken: Wir lesen Pinselstriche wie Spuren. Auch wenn sie bildhaft nichts darstellen, wirken die Action-Paintings Jackson Pollocks dynamischer als die geometrischen Konstruktionen Piet Mondrians. Und so vollziehen wir als Spurenleser auch unbewusst die zwei Striche vom FPÖ-Plakat nach. Das bringt ein Gefühl von Bewegung in das sonst statische Motiv Hofers und verstärkt die Dynamik des Porträts von Herbert Kickl, den das Foto im Redegestus einfängt.

Bewegungsspuren aktivieren

Werbung und Kommunikation nutzen schon seit vielen Jahren schwungvolle Pinselstriche, um unbewegten Bildern Leben einzuhauchen. Die Hirnforschung hat unlängst gezeigt, dass die gleichen Gehirnzonen aktiviert werden, wenn wir Bewegungsspuren sehen, wie wenn wir die Bewegungen selbst wahrnehmen.

Mit expressiven Pinselstrichen lässt sich gut Energie vermitteln. Das ist wohl der erste Grund, warum das analoge Malen eine digitale Renaissance in der Werbung erlebt. Der zweite ist, dass Pinselspuren so schön real wirken und damit der Sehnsucht nach dem Echten entsprechen. Das gute alte Malen fungiert als handwerklicher Gegenpol zur Digitalisierung. Aber schon lange, bevor Gestalter an Computern saßen, war der expressive Pinselstrich in Grafik und Werbung präsent. Grafiker hatten oft Malerei studiert, die Malspuren, die sie produzierten, waren bis in die 1980er-Jahre oft noch echt. Über 450 dokumentierte Versuche hat der französischen Gestalter Roger Excoffon gebraucht, bis er 1964 für eine Air-France-Werbung einen Jet mit einem einzigen dynamischen Pinselstrich darstellen konnte – und ihm damit eine Ikone der Plakatkunst gelang.

Skandal und Schwärze

Ein prominentes Beispiel für die Renaissance des werbenden Malens: Sony Music. Das aktuelle Logo des Unternehmens besteht nur aus einem einzigen quirligen Pinselstrich. Das Logo des Metallica-Labels Blackened Recordings, das von der Agentur Turner Duckworth kommt, ist zwar weniger minimalistisch, aber besonders schlau, denn es handelt sich um eine Kippfigur. Man kann die zwei schwarzen Striche wie jene der FPÖ als Fahne sehen. Die Striche fransen allerdings malerisch so aus, dass sie wie ein B wirken. Mit einem digitalen Längsstrich wird das Logo zum Bild einer Fahne. Das Bild kippt: Die wellenartige Außenlinie des Pinselstrichs sieht aus wie das Wehen im Wind. Zuletzt macht das Logo visuell deutlich, was der Name sprachlich ausdrückt, nämlich das Schwärzen. Das Malen wird also zu einem Übermalen, das vermuten lässt, dass etwas darunterliegt, das so wunderbar skandalös war, dass es geschwärzt werden musste.

Hauch von Brutalität

Als Darstellung einer Handlungsspur erzählt das Bild so eine Geschichte, die zum Heavy Metal passt wie die Faust aufs Auge. Ganz gleich, ob er auf dem Bildschirm oder an der Leinwand entsteht: Der brachiale Pinselstrich in Rot oder Schwarz vermittelt einen Hauch von Brutalität, der gut zum kriegerischen Auftritt der FPÖ passt. Tatsächlich hat auch seine künstlerische Herkunft viel mit Machogehabe zu tun: Jackson Pollock hat sich als Cowboy inszeniert und kam mit 44 Jahren unter Alkoholeinfluss in seinem Sportwagen ums Leben.

In Österreich lassen abstrakte Pinselstriche in Rot vor allem an den Lebemann Markus Prachensky denken. Aber auch Hermann Nitsch, der mit Blut genauso gerne malt wie mit Farbe, kommt einem in den Sinn. Macht man sich das bewusst, kommen auch die roten Schlieren der FPÖ schnell ins Kippen und mögen manchen an den Entstehungsmythos der Nationalflagge erinnern, welcher die drei Farben mit dem blutigen Waffenrock des Kreuzfahrers Leopold V. assoziiert. Dort, wo der Schwertgürtel saß, soll dessen Kleid nämlich beim Kreuzzug weiß geblieben sein.

Aber auch ganz ohne Assoziationen erfüllen die Pinselstriche im FPÖ-Plakat eine klare Funktion: Während die Slogans "Fair. Sozial. Heimatreu." (Hofer) bzw. "Mit Sicherheit für Österreich" (Kickl) die Idee des Erhalts vermitteln, bekunden die Pinselstriche ganz ohne Worte, dass sich mit der FPÖ auch etwas bewegen würde. Zuletzt prominent zu sehen war der dynamische Pinselstrich allerdings ganz woanders: Nämlich bei Van der Bellens zweiter Kampagne für das Präsidentenamt. Dort erschien er im Vordergrund eines riesigen schwarzen Kreuzes, das weniger den Kandidaten als den Akt des Wählens heroisierte. Grafische Trends kennen keine Parteigrenzen. (Klaus-Peter Speidel, 21.9.2019)