Euphorie fühlt Robert Habeck angesichts guter Umfragewerte nicht. Er will aber Erwartungen erfüllen.

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STANDARD: In Umfragen liegen die deutschen Grünen bei 22 Prozent, und Sie selbst bekommen viel mediale Aufmerksamkeit. Macht das euphorisch?

Habeck: Das hat mit Euphorie nichts zu tun. Wir wissen, dass ein größerer Teil der Gesellschaft uns Verantwortung zutraut und dass wir daran arbeiten müssen, diese Erwartung zu erfüllen.

STANDARD: Ihre persönlichen Beliebtheitswerte lassen Sie kalt?

Habeck: Anfangs habe ich aus Neugier alles gelesen, was über mich geschrieben wurde – nach dem Motto: "Ah, wie wirkst du denn?" Das mache ich nicht mehr. Es geht ohnehin um mehr als Personen. Wir sind stark, weil wir im Team wirken und uns auf gesellschaftliche Aufgaben konzentrieren – nicht nur auf Deutschland fokussiert, sondern im Zusammenspiel mit unseren österreichischen Freunden. Gerade erst war ich ja in Wien, um sie zu unterstützen.

STANDARD: Warum brauchen die österreichischen Grünen Entwicklungshilfe aus Deutschland?

Habeck: Die Partei braucht keine Entwicklungshilfe. Aber im Einsatz für den Rechtsstaat wollen wir unsere Kräfte bündeln. Es ist skandalös, was in Österreich passiert. Herr Kickl hat als Innenminister versucht, eine Politpolizei aufzubauen. Herr Strache erklärt im Ibiza-Video, er wolle die Krone kaufen lassen, um eine Medienlandschaft à la Viktor Orbán aufzubauen. Diese Angriffe auf die liberale Verfassung, auf die unabhängige Presse sind brandgefährlich. Trotz alledem sagt die ÖVP immer noch nicht klar: Mit diesen Leuten regieren wir nicht mehr.

STANDARD: Die österreichischen Grünen erreichen nicht die Höhen der deutschen. Woran liegt das? Doch an den Personen?

Habeck: Werner Kogler ist ein Krafttank, geradlinig, kantig, aufrecht. Mich begeistert, mit welchem Elan sie aus dem Tal gekommen sind, in das sie nach der letzten Wahl gefallen sind. Übrigens haben auch wir von den österreichischen Freunden gelernt.

STANDARD: Was zum Beispiel?

Habeck: Alexander Van der Bellen hat in seinem Präsidentschaftswahlkampf plakatiert: "Wer seine Heimat liebt, der spaltet sie nicht." Da habe ich fast Gänsehaut bekommen, weil ich das so mutig fand. Sie wissen ja, dass "Heimat" bei den Grünen ein belasteter Begriff ist. Aber da wurde er mit einer Selbstverständlichkeit ganz liberal und europäisch verwendet.

STANDARD: Sie selbst schrieben: "Vaterlandsliebe fand ich stets zum Kotzen." Gilt das noch?

Habeck: Der Satz wird vor allem von der AfD immer wieder für Kampagnen genutzt. Er stammt aus einem Buch, das ich vor zehn Jahren schrieb und steht in einem Kontext. Das Buch heißt Patriotismus – ein linkes Plädoyer, und nach dem Satz kommen 150 Seiten, warum linker Patriotismus sinnvoll ist. Aber den Satz würde ich heute wohl nicht mehr so schreiben.

STANDARD: Warum nicht?

Habeck: Weil ich glaube, dass man um den Begriff Heimat kämpfen muss. Wenn man ihn den Rechtsextremisten überlässt, wird er verhunzt. Dann steht er nur für wenige, für eine bestimmte Lebensweise oder nur eine bestimmte Gruppe. Dabei ist Heimat ein Versprechen, dass alle Menschen Geborgenheit und Sicherheit erfahren können, egal wo sie herkommen und wie sie leben wollen. Das, was uns verbindet, sind die Werte unserer liberalen Verfassung.

STANDARD: Sind die Grünen die wahren Gegenspieler der AfD?

Habeck: Die Rechtsextremisten stehen außerhalb, wir stehen im Zentrum der Gesellschaft und stärken die Bindekraft der Demokratie aus der Mitte, auch weil andere Leerstellen hinterlassen. Wir sehen ja, wie die Volksparteien erodieren.

STANDARD: Für einen fliegenden Koalitionswechsel stehen die Grünen – angesichts guter Umfragewerte – wohl nicht zur Verfügung?

Habeck: Bricht die Koalition, ist es eine Frage des Respekts vor dem Souverän, durch Neuwahlen um ein neues Mandat zu bitten.

STANDARD: Und dann werden Sie Kanzlerkandidat?

Habeck: Es wäre falsch, sich aus übersteigerter Spiellust schon jetzt in irgendwelche Debatten treiben zu lassen. Es gibt ja keinen Wahltermin. Wenn wir eine Wahl haben, werden wir alle Fragen ernsthaft und verantwortungsbewusst beantworten. Unser Verantwortungsbewusstsein beweisen wir übrigens täglich, wir sind jaTeil von vielleicht bald elf Landesregierungen.

STANDARD: In den Ländern regieren die Grünen mit CDU, SPD, FDP, Linken – in vielen Konstellationen. Sind sie beliebig?

Habeck: Die Zeiten, in denen man mit sich selbst zufrieden sein konnte, sind vorbei. Ich würde unsere Bündnisfähigkeit heute eher als Stärke sehen. Wir setzen ja unsere Inhalte in den verschiedenen Konstellationen um.

STANDARD: Jetzt erwägen die Grünen, in Sachsen mit der CDU zu koalieren. Dort gibt es auch Stimmen, die der AfD gegenüber nicht abgeneigt sind. Gibt es da nicht eine Schmerzgrenze für Sie?

Habeck: Wäre Politik ein Pizzaessen, hätten wir uns was anderes ausgesucht. Aber wir wollen nicht, dass Rechtsextremisten Zugriff auf eine Regierung haben, so wie die FPÖ in Österreich. Das gefährdet den demokratischen Rechtsstaat von innen. Ich zweifle keine Minute daran, dass unser Engagement sinnvoll ist.

STANDARD: Was passiert eigentlich, wenn weniger Klimapolitik diskutiert wird? Bleibt dann von den Grünen noch etwas?

Habeck: Wissen Sie, vor einem Jahr, bei der Bayern-Wahl, haben wir 17,5 Prozent erreicht. Da standen Weltoffenheit, eine proeuropäische Ausrichtung, für die wir eintreten, im Fokus. Wir sind doch längst breit aufgestellt und fest verankert. Insofern bin ich da ganz entspannt. (Birgit Baumann, 21.9.2019)