Die Grünen haben die Reißleine gezogen. Der Austritt Christoph Chorherrs aus der Partei ist ein Schritt, den sie von anderen Parteien längst eingefordert hätten. Im Wahlkampf plakatieren sie "saubere Politik" und "Anstand". Ein Ermittlungsverfahren gegen einen einflussreichen ehemaligen Kommunalpolitiker, weil dessen Verein Spenden für Schulprojekte angenommen haben soll und, so der Vorwurf, im Gegenzug womöglich Zugeständnisse an Immobilienfirmen für Widmungen erfolgt sein sollen, passt da nicht ins Bild. Die Grünen haben hohe Ansprüche, treten als Korruptionsbekämpfer auf. Nun wurden sie von ihren eigenen Vorgaben eingeholt.

Chorherr war außerdem nicht irgendein Mitglied der Grünen. Der ehemalige Parteichef prägte bis zu seinem Rückzug aus dem Gemeinderat Anfang des Jahres gerade in der letzten und der aktuellen Legislaturperiode das Handeln der Wiener Partei entscheidend mit. Er galt als enger Vertrauter der ehemaligen Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou. Seite an Seite arbeiteten sie im Planungsressort, dem die Grünen seit 2011 vorstehen. Vielbeachtete Maßnahmen wurden umgesetzt und in die Wege geleitet. Etwa die neuen Regelungen bei Flächenwidmungen, wonach immer zwei Drittel für den sozialen Wohnbau vorzusehen sind. Genauso gab es aber umstrittene Projekte wie den Turm am Heumarkt, der beinahe zur Parteispaltung geführt hätte.

Weder SPÖ noch Grüne haben derzeit Interesse, Streitfragen wie den Bau des Lobautunnels im Naturschutzgebiet wiederaufzuwärmen.
Foto: APA/ROBERT JAEGER

Es hat einige Tage gedauert und offenbar auch Überredenskunst gebraucht, Chorherr zum Parteiaustritt zu bewegen. Warum sich die Grünen so schwergetan haben, ist nicht nachvollziehbar. Sie sind sonst die Ersten, die den moralischen Zeigefinger heben. Der Druck war auch wegen der Nationalratswahl da. Die Grünen kämpfen um den Wiedereinzug ins Parlament, die Wählerstimmen aus Wien sind traditionell sehr bedeutend für die Partei.

Cooling-off-Phasen

Doch mit dem Austritt Chorherrs aus der Partei ist die Geschichte nicht gegessen. Auch nach dem 29. September werden die Augen auf den Umgang der Grünen mit der Causa Chorherr gerichtet sein, zumal nächstes Jahr Wiener Gemeinderatswahlen stattfinden. Die FPÖ hat eine U-Kommission angekündigt. Das bedeutet, dass sämtliche Flächenwidmungen über Monate durchgekaut werden.

Die Wiener Grünen haben auch abseits davon keine einfache Ausgangssituation. Birgit Hebein hat die Agenden von Vassilakou erst vor wenigen Monaten übernommen. Die gestandene Sozialpolitikerin heftet sich das Klimathema an die Fahnen. Initiativen wie die "Coolen Straßen" sind nett, aber in Wahrheit nicht mehr als Kosmetik. Grundlegende Fragen in der Stadt und Reibungspunkte mit dem Koalitionspartner werden nicht angesprochen. Weder SPÖ noch Grüne haben derzeit Interesse, Streitfragen wie den Bau des Lobautunnels im Naturschutzgebiet wiederaufzuwärmen.

In Sachen Korruptionsvermeidung schlug Hebein Cooling-off-Phasen vor: Amtsträger und Mandatare sollen im ersten Jahr nach dem Ausscheiden aus der Politik keine Jobs bei Firmen annehmen, mit denen sie in ihrer politischen Rolle zu tun hatten. Solange Chorherr als freier Berater für jenes Bauunternehmen tätig ist, das die ebenfalls im Zuge der Spendencausa thematisierten Danube Flats umsetzt, konterkariert er jegliche Vorschläge jedoch.

Auch wenn die Ermittlungen ergeben, dass alles korrekt abgelaufen ist: Moralisch nachvollziehbar ist es nicht, warum Chorherr auf dem Job beharrt. (Rosa Winkler-Hermaden, 20.9.2019)