Jasmina Cibic, "Das Geschenk – 1. Akt" (2019), Videostill, Installation, Künstlerhaus Graz: Kunst und Kultur als käufliche Waren.

Foto: Mathias Voelzke

Endlich wird auch Sugdidi an die hippe Welt des internationalen Theoriemarkts angeschlossen! Dem Engagement der versierten Expertin Pepela Mundi sei Dank, kommt in der georgischen Stadt am Tschchouschi-Fluss ein "postprostitionärer" Kongress zustande. Und dank Ekaterina Degot, Intendantin der Steirischen Herbsts, erfährt nun auch das Publikum ihres Festivals von diesem erfundenen Ereignis und wie es sich Keti Chukhrov und Guram Matskhonashvili zufolge zugetragen haben soll.

Chukhrov, Philosophin, geboren in der abchasischen Metropole Sochumi, und der aus Georgiens Hauptstadt Tiflis stammende Dramatiker Matskhonashvili haben die Theaterperformance Global Congress of Post-Prostitution zusammen ausgeheckt und umgesetzt: Als deftige Satire, die wegen ihrer gechillten Herablassung gegenüber dramaturgischer Qualität zwar kein künstlerisches Meisterwerk geworden ist, aber ihr Thema gerade wegen dieser nachlässigen Machart umso besser trifft.

Tinderaktivitäten als politisches Handeln

Gnadenlos wird eine Intelligentsia vorgeführt, die vorgibt, einen wahnsinnig progressiven und zugleich moralisch aufgemotzten Gesellschaftsentwurf zu leben und zu verbreiten. Während des Global Congress of Post-Prostitution entlarvt sich der Theoriesprech dieser Intellektuellen als hohles Gewäsch. Eine so prekäre wie eitle Elite angelt mit dem billigen Pornomotiv nach Aufmerksamkeit, um aus ihrem Lifestyle Kapital zu schlagen.

Dieser sich als weltläufig aufplusternde, aber in Wahrheit kleinkarierte Hedonismus ist das von Georg Lukács inspirierte Leitmotiv des diesjährigen Steirischen Herbsts: "Grand Hotel Abyss". Keine leichte Kost für jene – falls es solche gibt –, die ihr Engagement im Kulturbereich therapeutisch zur Reinigung ihres Gewissens gebrauchen, sich in Pseudo-Aktivismus ergehen oder ihr Fummeln an Tinder für politisches Handeln halten.

Optimierung des Sozialverhaltens

Aber Ekaterina Degot zielt auf einen noch schmerzlicheren Punkt: jenen Elitenhedonismus, der Alles und Jedes unter dem Genusslabel verkauft und zum allgemeinen Anspruch in den Demokratien von heute geworden ist. Diese tolle Genießerwelt konterkariert das Grazer Theater im Bahnhof (TiB) auf einem Bauernmarkt in der Grazer Peripherie unter dem vielleicht absichtlich überfetten Titel MEN/ SCH/ EN/ MAR/ KT – Das Spiel mit dem Teufelskreis. Ein Abenteuerchen für alle, die partizipatorische Performance mögen.

Wer eine Aversion dagegen hat, sollte den Versuch trotzdem wagen, denn das TiB hat sich einen erhellenden Parkours ausgedacht, an dem jeder Besucher mit einer neuen Identität ausgestattet und zum Gutpunktesammeln losgeschickt wird – in Bereichen wie jenen des Sozialverhaltens, der Gesundheit oder der finanziellen Situation.

Klar ist das wieder eines dieser Projekte, in denen sich Künstler mit zweifelhafter Berechtigung zu Oberlehrern aufschwingen, und dem TiB ist offenbar nichts anderes eingefallen. Aber wie es hier gemacht wird, überzeugt dann doch. Es ist ja immer noch besser, mögliche eigene Schwachstellen von Theaterleuten aufdecken zu lassen als von kommerziellen Algorithmen oder staatlichen Services. Außerdem kann es zu großartigen Begegnungen kommen wie zum Beispiel mit einer Grazer Sozialpsychiaterin, die einleuchtend erklären kann, warum Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht ausgeschlossen werden dürfen.

Installation mit Chorgesang

Um Gefängnisse geht es in der jüngsten Arbeit Human Landscapes – Book II des ausgesprochen vielseitigen belgischen Choreografen und Performancemachers Michiel Vandevelde, eines Shooting Stars, der bereits beim Donaufestival und bei Impulstanz gezeigt hat, was er kann. Jetzt führt er im Grazer Minoritensaal eine poetische Videoinstallation mit Chorgesang vor. Darin geht es um Gewalt gegen SchriftstellerInnen, um damit zusammenhängende historische Begebenheiten in der Türkei der 1930er-Jahre und auch um den Fall des Kommunismus vor dem Zweiten Weltkrieg.

Bemerkenswert im Zusammenhang mit elitären Entführungen des kulturellen Mehrwerts ist Jasmina Cibics Videoinstallation The Gift – Act I im Grazer Künstlerhaus. Darin wird Architektur als Danaergeschenk der Politik dargestellt, und das verbindet sich bestens mit Keti Chukhrovs und Guram Matskhonashvilis "postprostitionärem" Kongress: In nüchternen, zugleich hochedlen Bildern führt Cibic in Form einer Allegorie mit virtuosen Tanzszenen vor, wie schön sich Kunst und Kultur prostituieren können. Gefilmt wurde in der von Stararchitekt Oskar Niemeyer erbauten Zentrale der kommunistischen Partei Frankreichs in Paris. (Helmut Ploebst, 22. 9. 2019)