Einer der Schwachpunkte: Beruf und Familie sind hierzulande besonders schwer unter einen Hut zu bekommen.

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Steigende Wohnkosten, die Klimakrise, Verteilungsfragen: Im Wahlkampffinale wird noch einmal kräftig auf die Tube gedrückt, vor allem die Versäumnisse kommen aufs Tapet. Glaubt man den Spitzenkandidaten der wahlwerbenden Parteien, liegt vieles im Argen.

In Österreich geht es stetig nur bergab, wird oft suggeriert. Verschiedene Indizes bescheinigen das Gegenteil. Einer der wichtigsten, der Weltglücksbericht (World Happiness Report) der Uno, hielt für Österreich heuer den zehnten Platz unter 156 Ländern bereit. Auch die heimischen Statistiker fragen jährlich, wie es Österreich geht. Recht gut in den meisten Belangen, lautete auch hier der jüngste Befund.

Der weite Weg an die Spitze

Und wie sieht die Lage im Licht eines internationalen Unternehmensberaters aus? Die weltweit tätige Boston Consulting Group (BCG) geht an die Beurteilung mit dem hauseigenen Wohlergehensindex Seda (Sustainable Economic Development Assessment) heran. Und wo reiht sich Österreich hier ein? Fundamental ist der Unterschied zum World Happiness Report nicht. Mit Platz acht liegt Österreich auch hier unter den weltweiten Top Ten.

Der Seda-Index stützt sich auf bekannte Indizes (Weltbank, WHO, OECD, WEF, UN, Anm.), und misst anhand von 40 Indikatoren, unterteilt in die Bereiche Wirtschaft, Investitionen und Nachhaltigkeit, wie es um das Wohlergehen der Menschen in 143 Ländern bestellt ist. Hierzulande geht es demnach im Großen und Ganzen in den letzten zehn Jahren bergauf – vor allem ökonomisch gesehen. In der vergangenen Dekade hat Österreich zwei Plätze aufgeholt, sagt Lukas Haider, Österreich-Chef von BCG. Der Weg an die Spitze ist aber noch weit. Dort tummeln sich Norwegen, die Schweiz, Island, Dänemark, Schweden, Finnland und Luxemburg – in dieser Reihenfolge. Grund zum Ausruhen sieht Haider folglich nicht: "Langfristig bleibt einiges zu tun."

Mittelmaß

Doch was hält jemand, der Zahlen und Fakten strategisch beurteilt, für gesellschaftlich relevant? Welche Weichen müssen gestellt werden, damit es den Menschen künftig besser gehen wird? Und wo drückt der Schuh? Was die Umwandlung von Wohlstand (BIP pro Kopf) in Wohlergehen betrifft, ist Österreich – wieder einmal – Durchschnitt. "Damit sollten wir uns nicht begnügen", sagt Haider. Andere Länder mit vergleichbarer Ausgangslage, etwa die Skandinavier, zeigen mehr Dynamik.

Gebremstes Wirtschaftswachstum, wie es die meisten Experten erwarten, gilt nicht als Ausrede. Denn dass Wohlstand allein wenig aussagekräftig ist, zeigen die USA. Die größte Volkswirtschaft der Welt ist in Kaufkraft pro Kopf gemessen "reicher" als die Spitzenreiter Dänemark und Schweden – und kommt in dem Index doch nur auf Rang 18, während Dänemark Platz vier belegt und Schweden Platz fünf.

Wo die Schwachpunkte sind

Bei manchen Einzelindikatoren wie Gesundheit schneidet Österreich spitzenmäßig ab: Mit einem Score von 93,6 liegt die Alpenrepublik weit vor den USA mit 76,8, aber auch vor der Schweiz und Norwegen. Düster ist es hingegen in anderen Belangen. Gravierende Schwachpunkte zeigt der Index bei den Themen Rechtsstaatlichkeit, Korruptionskontrolle, politische Stabilität (Governance) und Zivilgesellschaft auf. Für Haider "die Wermutstropfen. Während sich Österreich in den meisten Faktoren recht gut verbessert hat, ist das bei diesen Indikatoren nicht der Fall."

Besonders drastisch ist demnach die Entwicklung in der Bewertung der politischen Stabilität, wo Österreich im Worldwide Governance Indicator der Weltbank 2013 noch auf dem achten Platz rangierte und im Jahr 2017 auf den Rang 58 abgerutscht ist. "Da kann ich den Handlungsbedarf am Silbertablett servieren", mahnt Haider. Auch auf dem Gebiet Zivilgesellschaft bekleckert sich Österreich nicht mit Ruhm: Während Norwegen in Sachen Civil Society im Seda-Score 100 Punkte erzielt, kommt Österreich auf 77,7.

Gender-Gap wiegt schwer

Vor allem der Gender-Gap wiegt in diesem Segment schwer. Nicht überraschend für den Unternehmensberater. Während sich in Sachen Vermögensverteilung, Lebenserwartung, Bildungszugang einiges zum Besseren gewendet habe, sehe es in Sachen Gleichheit der Geschlechter mau aus. Frauen in der Führungsetage? Zu wenige. Gleicher Lohn für gleiche Leistung? Seit langem ein frommer Wunsch. Im Wahlkampf herrscht zum Thema Schweigen. "Da lassen wir Chancen liegen, das sollten wir aufgreifen", sagt Haider. Verbesserungen wären in manchen Punkten ganz ohne teure Maßnahmen zu erzielen, so der BCG-Mann. Hygienefaktoren wie Governance gelte es ganz einfach einzufordern. Und was die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und gleiche Bezahlung betrifft, so "muss man das nur tun". (Regina Bruckner, 23.9.2019)